Geschrieben von Sabine Neuhauß
Alice Berend wurde am 30. Juni 1875 in Berlin geboren. Sie war die Tochter des Baumwollimporteurs Ernst Berend und seiner Frau Hedwig (geb. Gumpertz). Ernst Berend stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie, die in Dessau und Hamburg lebte, während die Familie Gumpertz seit mehr als 200 Jahren in Preußen lebte und zu den ältesten Schutzjuden des Landes gehörte. Das Geschäft von Ernst Berend befand sich am Berliner Alexanderplatz. Wie viele erfolgreiche jüdische Geschäftsleute zog er 1884 in das Kaufmannsviertel am Kurfürstendamm, wo die Familie eine Wohnung in der Berggrafenstraße bezog. Trotz der jüdischen Herkunft wurde Alice protestantisch getauft.
Die Malerin Charlotte Berend-Corinth, Ehefrau von Lovis Corinth, war ihre Schwester. Alice stand im Schatten der extrovertierten Charlotte, die die Aufmerksamkeit der Familie auf sich zog. Beide Töchter besuchten die öffentliche Charlottenschule nahe dem Magdeburger Platz. Bildung und Kultur erschienen der eher sparsamen Mutter nicht besonders wichtig, jedoch erkämpfte sich Charlotte Kunstunterricht, Alice las viel und fand zur Literatur.
Beide Schwestern wünschten sich, den traditionellen Familienstrukturen zu entkommen; sie haderten mit der Kunstferne ihrer Familie.
Alice begann 1898, für das Berliner Tageblatt und andere Zeitungen zu schreiben, insbesondere über das Berliner Theaterleben. Außerdem verfasste sie Theaterstücke für Kinder, die im Kindertheater im Berliner Künstlerhaus zur Aufführung gelangten. Charlotte beteiligte sich künstlerisch an den Bühnenbildern. Der erste Roman von Alice Berend – „Dore Brandt“ – entstand in dieser Zeit.
Der Vater Ernst Berend beging um die Jahrhundertwende Suizid, nachdem er durch Fehlspekulationen sein Vermögen verloren hatte.
Alice heiratete 1904 in London den völlig unbekannten schwedischen Schriftsteller John Jönsson, der es nie zu nennenswerter Popularität brachte. Das Ehepaar lebte zunächst in Berlin und zog 1906 nach Florenz um. Dem Umzug voraus ging ein Streit der Schwestern Alice und Charlotte, der zum Bruch zwischen ihnen führte. Aus der Ehe zwischen Alice und John Jönsson gingen die Kinder Nils-Peter und Carlotta hervor.
In Florenz entstanden die Romane „Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel“ – der Alice Berend den Durchbruch verschaffte -, „Frau Hempels Tochter“, „Die Bräutigame der Babette Bomberling“ und folgend nahezu jährlich weitere Romane. Die Romane erreichten Auflagen von weit mehr als hunderttausend Exemplaren. Sie wurde binnen kurzer Zeit eine der meistgelesenen Unterhaltungsautorinnen Deutschlands und von der Kritik hochgelobt. So wurde sie mit Fontane verglichen, außerdem wurden ihre klare Sprache und ihr Humor besonders hervorgehoben.
Ihre Werke sind ein gefühl- und humorvoller Spiegel des Berliner Bürger- und Kleinbürgertums, oft stehen starke Frauenfiguren im Mittelpunkt.
Mit ihren Einnahmen konnte Alice Berend ihrer Familie ein komfortables Leben in Italien ermöglichen, sie verfügte über eine Stadtwohnung in Florenz und ein Ferienhaus am Gardasee. Außerdem unternahm die Familie zahlreiche Reisen u. a. nach Dänemark, Schweden und England. Der Ehemann trug nicht nennenswert zum Familienunterhalt bei.
Im Zuge des ersten Weltkrieges wurde die Familie in Italien zu „feindlichen Ausländern“. Sie zogen zurück nach Berlin. Als 1919 der Sohn Nils-Peter an Tuberkulose erkrankte, lernte Alice auf einer Fahrt nach Arosa den Bodensee kennen und schätzen – quasi als Italienersatz. 1920 zog die Familie nach Konstanz. Alice ließ ein Haus im Landhausstil erbauen und von dem befreundeten Meersburger Maler Waldemar Flaig den Eingangsbereich mit einem später übertünchten literarischen Motiv und dem Schriftzug „Schreiberhäusle“ ausschmücken.
Alsbald wurde das „Schreiberhäusle” zu einem Treffpunkt von Künstlern und Schriftstellern, zu denen neben Waldemar Flaig die Künstlerin Kasia von Szadurska, der Konstanzer Heinrich Ernst Kromer, Willy Münch-Khe sowie der Maler Hans Breinlinger zählten. Die Beziehung von Alice Berend und John Jönsson ging in dieser Zeit auseinander. Alice verliebte sich in Hans Breinlinger. Mit ihm unternahm sie viele Reisen. 1924 zogen sie nach Berlin und 1926 heirateten sie. Hans Breinlinger bekam durch Alice Berend Anschluss an die Berliner Künstlerszene. Die Popularität von Alice Berend war weiterhin immens. Als das Berliner Tageblatt 1928 eine „Dichterstafette auf dem Autobus“ veranstaltete, war Alice Berend die einzige Frau, die dazu eingeladen wurde - neben anderen renommierten Autoren und Kritikern wie Alfred Polgar, Alfred Döblin und Arnold Zweig. Alle sollten etwas über einen Streckenabschnitt zwischen dem Brandenburger Tor und Halensee schreiben. Alice Berend entschied sich für den lebhaften Einkaufsboulevard an der Tauentzienstraße, wo Glanz und Elend dicht nebeneinanderlagen.
1931 fand die Einweihung ihres neuen Hauses in Berlin-Zehlendorf statt. Dort betrieb sie einen kleinen Salon, zu dem u. a. ihre langjährige Freundin, die Schriftstellerin Elisabeth Castonier gehörte, wie auch die Schriftstellerinnen Elisabeth Langgässer und Ilse Langner. Im gleichen Jahr gehörte sie zur Jury für den Literaturpreis, den der Verband Deutscher Staatsbürgerinnen vergab.
Die Karriere von Alice Berend endete 1933 abrupt. Ihre Bücher wurden sofort auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Sie konnte nur noch sporadisch in der Schweiz veröffentlichen. Nach den Nürnberger Gesetzen galt sie als Jüdin. Ihre Ehe mit Hans Breinlinger wurde 1933 geschieden und er übernahm ihr gesamtes Vermögen einschließlich der Villa in Zehlendorf. In der biografischen Literatur ist umstritten, ob der Ehemann hier aus opportunistischen Gründen die Scheidung verlangte. Hier kann allerdings festgehalten werden, dass unabhängig von der Frage, ob die Beziehung der Eheleute gescheitert war, der Ehemann Alice Berend durch den Fortbestand der Ehe hätte schützen können – und sie finanziell unterstützen, statt das von ihr erarbeitete Vermögen vollumfänglich zu behalten.
1935 emigrierte Alice Berend über die Schweiz nach Florenz; ihre Tochter Carlotta begleitete sie. Nur durch wenige Veröffentlichungen in der Schweiz erhielt sie noch ein geringes Einkommen; sie war weitgehend mittellos. Im Jahr 1937 konvertierte sie zum Katholizismus. Im Herbst 1937 erkrankte sie an einer Infektion, am 2. April 1938 ist sie in Florenz verstorben. Zu ihrer Beerdigung waren nur der Pfarrer und die Tochter Carlotta zugegen.
Leider hatte das Verbot ihrer Bücher durch die Nazis einen für Jahrzehnte durchschlagenden Erfolg; Alice Berend wurde vollständig vergessen. Aber es hat sich mittlerweile etwas getan. 1999 wurde in Berlin-Moabit eine Straße nach ihr benannt, seitdem kam es auch zu Neuauflagen verschiedener Werke von ihr. Der Berliner „Tagesspiegel“ hat anlässlich des 150. Geburtstages ein großes Porträt veröffentlicht. Und in Literaturseminaren der Uni Potsdam kann man sie gleichberechtigt neben Theodor Fontane finden.
Quellen
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