Mittwoch, 8. Oktober 2025

Anna Stepanowna Politkowskaja

„Wenn ich getötet werde, sucht den Mörder im Kreml“

Wer möchte diesem Zitat widersprechen? Es ist doch immer wieder dasselbe Muster: Systemkritische Menschen werden verhaften, eingesperrt, umgebracht. Ein Verdächtiger wird nie gefunden, es gibt keine Anklage, von einer Verurteilung ganz zu schweigen. Anna Politkowskaja war die 13. Journalistin, die unter Putins Amt ums Leben kam.

Anna Politkowskaja wurde am 30. August 1958 in New York geboren. Als russisch-amerikanische Reporterin, Autorin und Menschenrechtsaktivistin bekannt wurde sie durch Reportagen und Bücher über den Krieg in Tschetschenien, über Korruption im russischen Verteidigungsministerium und dem Oberkommando der Streitkräfte in Tschetschenien.

1978 heiratete sie Alexander Politkowski, schloss zwei Jahre später das Journalismus-Studium an der Moskauer Lomonossow-Universität ab und arbeitete danach bis 1993 bei verschiedenen Zeitungen und Verlagen. Von 1994-99 war sie leitende Redakteurin, Kommentatorin und stellvertretende Chefredakteurin bei der Wochenzeitung "Obschtschaja Gaseta".

Im Westen sah man sie als unabhängige Journalistin, doch in Russland galt sie bei vielen Kollegen als Nestbeschmutzerin und in russisch-nationalistischen Kreisen als „Feindin des russischen Volkes“. Nach ihren Angaben war sie 2004 Opfer eines Giftanschlags.

„Man kann jemanden, der mit fanatischer Hingabe über die Welt berichtet, die uns umgibt, nicht aufhalten. Mein Leben mag schwer sein, öfter noch entwürdigend. Am Ende bin ich nicht mehr jung genug, um dauerhaft Ablehnung zu erfahren. Diese höhnischen Artikel, die in anderen Zeitungen über mich erscheinen und mich als die Irre von Moskau darstellen. Ich finde es ekelhaft, so zu leben. Ich würde mir ein wenig mehr Verständnis wünschen.“

Anna Politkowskaja wurde am 7. Oktober 2006 gegen 16.03 Uhr im Fahrstuhl ihres Hochhauses durch mehrere Schüsse ermordet. Es war der Geburtstag des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Und der Westen schwieg.

"Wo bleibt der öffentliche Protest der internationalen Organisationen? Schweigen auf dem innenpolitischen Parkett in Deutschland! Kommunikationsroutine! Haben Journalistenorganisationen zu den Ereignissen keinen eigenen Debattenbeitrag zu leisten? Wo sind die Proteste der Künstler, der Theater- und Filmemacher? Nur Einzelne melden sich zu Wort. Die Reaktionen bleiben dürftig. Verharren wir in einer Betroffenheitspose und fürchten uns nur vor der Kritik am Energielieferanten Russland? Hat uns die Zivilcourage in den westlichen Demokratien nun vollends verlassen? Wo bleiben die Demonstranten und die Reaktionen der Gorbi-Freunde von einst, die darauf hinweisen, dass sich hier ein Mensch, die Mutter zweier Kinder, um der Wahrheit willen geopfert hat? Reicht es, wenn Menschenrechtsorganisationen für uns stellvertretend „Presse-Statements“ formulieren, die nicht mehr als Nachrichtenfutter für die internationalen Newsagenturen sind – am nächsten Tag schon vergessen?"

(Norbert Schreiber: Chronik eines angekündigten Mordes. Wieser Verlag, Klagenfurt 2007)

Im Erscheinungsjahr dieses Buches, 2007, teilte die russische Staatsanwaltschaft mit, dass der Auftraggeber des Mordes im Ausland lebe. Alle wussten, dass damit Boris Beresowski, der wegen Meinungsverschiedenheiten mit seinem ehemaligen Protegé Wladimir Putin nach Großbritannien emigrierte, gemeint war. Mehr als 80 Prozent der Hörer von "Echo Moskau" bezweifelten dies.

Eine Chronik zu der Morduntersuchung gibt es auf Wikipedia.

Zwischen Dezember 2003 und September 2005 entstand ihr "Russisches Tagebuch". Sie schreibt über die Kälte von Putins Machtsystem und beklagte die Blindheit und mutwillige Ignoranz des Westens gegenüber den Missständen in ihrer Heimat.

"Mit analytischer Schärfe benennt sie Verletzungen fundamentaler Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und deren Auswirkungen auf eine Bevölkerung, die sich resigniert aus der politischen Verantwortung verabschiedet hat", aus der Begründung der Jury des Geschwister-Scholl-Preises 2007.


Quelle
Wikipedia
Stern, 1/2007
Edelgard Abenstein: Frauen, die gefährlich leben – Geschichten von Mut und Abenteuer, Knesebeck 

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