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| Foto: Ines Geipel Lizenz: CC BY-SA 3.0 Wikipedia |
Geschrieben von Sabine Neuhauß
Ines Geipel wurde am 7. Juli 1960 in Dresden geboren und wuchs im Stadtteil Weißer Hirsch auf. Ihr Vater Lothar (1934–2012) hatte eine Lehre bei den Klingenthaler Harmonikawerken absolviert und dann Musik studiert. Er war Chorleiter, später Musiklehrer, 1967 Direktor einer Polytechnischen Oberschule und schließlich ab 1972 Direktor des Dresdner Pionierpalasts „Walter Ulbricht“. Von 1973 bis 1984 war er zudem Inoffizieller Mitarbeiter in der Abteilung IV des Ministeriums für Staatssicherheit. Hierbei handelte es sich um eine Spezialeinheit für das Ausspähen von Objekten und die Vorbereitung von Sabotage auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Er fuhr regelmäßig mit falschen Pässen in die Bundesrepublik. Dies erfuhr Ines Geipel erst nach der Wende aus den Akten der Staatssicherheit. Die Mutter Brigitte Grunert (* 1935) hatte eine Lehre als Schriftsetzerin gemacht, studierte später Russisch und arbeitete als Lehrerin am Institut für Weiterbildung in Dresden. Ines Geipel hat drei Geschwister.
Mit 14 Jahren kam sie auf das Internat in Wickersdorf, eine Spezialschule zur Vorbereitung auf die Ausbildung als Russischlehrer/in. Dort begann sie zu laufen, nahm an Kinder- und Jugendspartakiaden teil und begann als 17-Jährige beim SC Motor Jena mit dem Leistungssport. Ab 1980 war sie an der Universität in Jena für Germanistik eingeschrieben, widmete sich aber zunächst mehr dem Sport als dem Studium. Von 1982 bis 1984 war sie mit dem Kugelstoßer Matthias Schmidt verheiratet und trat daher unter dem Namen Ines Schmidt auf. Außerdem war sie SED-Mitglied.
In den 1980er Jahren erzielte Geipel sportliche Erfolge, unter anderem im 100-Meter-Lauf mit einer persönlichen Bestzeit von 11,21 Sekunden und im Weitsprung mit 6,98 Metern. Sie war 1984 die siebtbeste Läuferin der DDR. Zu den wirklichen Größen gehörte sie allerdings nicht, bei internationalen Wettkämpfen wie Europa- und Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen war sie nie am Start. Im Jahr 1984 stellte sie in der Staffel des SC Motor Jena in Erfurt mit 42,20 Sek. einen Vereinsweltrekord über 4 x 100 Meter auf. Gegen den Willen ihrer Teamkolleginnen Bärbel Wöckel, Ingrid Auerswald und Marlies Göhr focht sie später als Doping-Gegnerin diesen Rekord an und wurde auf ihren Antrag hin im Mai 2006 vom Deutschen Leichtathletik-Verband aus der Rekordliste gestrichen. Ein Vereinsweltrekord entspricht nicht einem Weltrekord, bei dem Staffelteilnehmer:innen in der Regel nicht demselben Verein angehören. In Bezug auf Ines Geipel ist das in Medienberichten tatsächlich nicht immer im erforderlichen Maße klargestellt worden. Alle genannten Staffelläuferinnen erhielten von ihrem Sprinttrainer das anabole Steroid Oral Turinabol, jedenfalls in den Jahren 1983 und 1984. Ines Geipel selbst bezeichnete dies später als „Zwangsdoping“.
Ihre sportliche Karriere endete 1985. Zu den Gründen gibt es diverse sehr unterschiedliche Angaben, die schwerlich nachprüfbar sind. So heißt es bei Munzinger, „laut eigenem Bekunden waren ihr Ausstieg aus dem Zwangsdoping und ihre zunehmende Ablehnung des DDR-Regimes Gründe für den Abbruch ihrer sportlichen Karriere…“ Auf ihrer eigenen Webseite ist zu lesen „Im Zusammenhang mit einem geplanten Fluchtversuch 1985 fiel sie politisch in Ungnade, musste den Sport beenden,…“ Laut Wikipedia hatte sie die Absicht, nach den Olympischen Sommerspielen 1984 in Los Angeles im Westen zu bleiben, weil sie sich in einen mexikanischen Sportler verliebt hatte. An den Olympischen Spielen nahm die DDR aber gar nicht teil. Dies habe sie einem Freund erzählt, der IM der Staatssicherheit gewesen sei. Die Staatssicherheit sei tätig geworden, um sie aus dem „Leistungssport herauszulösen“. Bei einer Blinddarmoperation sei ihr im Auftrag der Stasi die Bauchmuskulatur beschädigt worden, heißt es in der FAZ; im SPIEGEL wird darauf hingewiesen, dass es keinerlei Beweise dafür gebe.
Daher kann eigentlich nur festgehalten werden, dass ihre Stasi-Akte der Öffentlichkeit und der Forschung entzogen ist und daher eine Prüfung nicht erfolgen kann. Ines Geipel nimmt 1985 zum letzten Mal an den DDR-Leichtathletikmeisterschaften teil und wird als „verdienstvolle Leichtathletin“ offiziell verabschiedet.
Das Studium der Germanistik in Jena setzte sie dann fort, ihre Diplomarbeit datiert wohl aus dem Jahr 1989. Im selben Jahr protestierte sie gegen die Niederschlagung des Studentenprotestes in Peking mit der Aufhängung eines Plakates. Da Ines Geipel Mitglied der SED war, drängte die Universitätsparteileitung auf ein Parteiverfahren gegen sie und ließ davon auch nicht ab, als die Mitgliederversammlung der Sektion dagegen stimmte.
Ende August 1989 flüchtete sie über Ungarn aus der DDR und ging nach Darmstadt. Dort absolvierte sie an der Technischen Universität ein Magisterstudium der Philosophie und Soziologie. Ab 1994 erhielt sie Lehraufträge für Philosophie und Literaturwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Technischen Universität Darmstadt und der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. Zudem war sie Mitarbeiterin des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Ines Geipel gehörte zu den ersten Teilnehmern der Darmstädter Textwerkstatt, die 1998 eröffnet wurde. Seit 2001 lehrt sie in Berlin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch als Professorin für Deutsche Verssprache.
Schriftstellerisch ist Ines Geipel seit 1996 tätig. Sie begann mit der Herausgabe von Gedichten von Inge Müller, der früh verstorbenen Ehefrau des Dramatikers Heiner Müller, über die sie auch eine im Jahr 2002 erschienene Biografie „Dann fiel auf einmal der Himmel um“ verfasste. In diversen Werken setzte sie sich mit dem Doping in der DDR auseinander. Sie schrieb über den Amoklauf in Erfurt (Für heute reicht's. Amok in Erfurt) und über den an Depression erkrankten Torwart Robert Enke (Seelenriss. Depression und Leistungsdruck). Der 2009 publizierte Band "Zensiert, verschwiegen, vergessen" ist zwölf zu DDR-Zeiten nicht publizierten Autorinnen gewidmet. In "Tochter des Diktators" (2017) erzählte sie die Geschichte von Beate, der Adoptivtochter von Lotte und Walter Ulbricht. Um ihre eigene Familiengeschichte geht es in dem Buch "Umkämpfte Zone. Mein Bruder, der Osten und der Hass" (2019).
Neben diversen weiteren Werken steht ein umfangreiches gesellschaftliches Engagement. Das Thema „Doping in der DDR“ brachte sie massiv in die Öffentlichkeit. Dazu trat sie auch im Jahr 2000 als Nebenklägerin im Berliner Prozess um das DDR-Doping auf, in dem der einstige DDR-Sportchef Manfred Ewald und ein Sportmediziner wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung in mehr als 120 Fällen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurden. "Verlorene Spiele" lautet der Titel ihres 2001 publizierten Buches, in dem sie die Geschichten jener Sportler aufzeichnete, die durch Doping gesundheitliche Schäden erlitten. Dieses "Journal eines Doping-Prozesses" trug dazu bei, dass der Deutsche Bundestag noch im selben Jahr einen Zwei-Millionen-Euro-Fonds für die Entschädigung betroffener DDR-Sportlerinnen und -Sportler einrichtete. 2013 wurde Ines Geipel zur Vorsitzenden des Dopingopfer-Hilfe-Vereins (DOH) gewählt und setzte sich in diesem Amt weiter für eine Entschädigung gedopter Sportlerinnen und Sportler ein. Sie hat selbst Entschädigungszahlungen erhalten. Die Sichtweise auf gedopte Athletinnen und Athleten ist dabei durchaus kontrovers und Ines Geipel in der Kritik. Viele der betroffenen Sportlerinnen und Sportler waren bei der Einnahme der Dopingmittel bereits erwachsen und wussten, dass es sich um illegale leistungssteigernde Mittel handelte. Die ihnen zugewiesene ausschließliche Opferrolle stößt auf Widerspruch.
Im Rahmen dieser Kontroverse verstritt Ines Geipel sich auch mit früheren Weggefährten. So klagte sie ab 2018 gegen den früheren DDR-Skilanglauftrainer Henner Misersky wegen Rufschädigung. Henner Misersky war ein Trainer, der sich dem Doping offen verweigert hatte. Nach seiner Weigerung, den von ihm trainierten Langläuferinnen (darunter seine Tochter Antje) männliche Hormone als Dopingmittel zu verabreichen, wurde er 1985 fristlos als Trainer entlassen.
Hintergrund der Unterlassungsklage war der Umstand, dass Misersky mehrfach öffentlich in Zweifel gezogen hatte, dass Ines Geipel Opfer des staatlichen Doping-Systems in der DDR gewesen sei; er hatte sich kritisch zu Veröffentlichungen und Falschangaben im Zusammenhang mit sportlichen Leistungen und Falschangaben zu einer vermeintlichen Opferbiografie geäußert. Strittig sei auch, wie sie einen der wenigen Studienplätze für Germanistik an der Uni Jena ergattert habe. Misersky war der Überzeugung, „auch aus eigener Erfahrung, dass man als Trainer, Arzt, als erwachsener Athlet, definitiv Nein zum Doping in der DDR sagen konnte“. Er sah bei der Mehrzahl von ehemaligen erwachsenen DDR-Reisekader-Sportlern eine Mitverantwortung und auch bei Ines Geipel selbst starke Anhaltspunkte für selbstbestimmtes, wissentlich praktiziertes Doping. Im März 2020 und letztinstanzlich im November 2021 wiesen das Berliner Landgericht und folgend das Kammergericht die Unterlassungsklage ab. Miserskys Aussagen wurden als zulässige Meinungsäußerungen eingestuft, die Ines Geipel nicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzten.
Zusammen mit ihrem Schriftstellerkollegen Joachim Walther und seit 2001 auch mit Förderung durch die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur richtete Ines Geipel das "Archiv unterdrückter Literatur in der DDR" ein. Es enthält Vor- und Nachlässe von Autoren, deren Texte zu DDR-Zeiten geschrieben und nicht veröffentlicht wurden. Daraus entstand die zehnbändige "Verschwiegene Bibliothek", als deren Mitherausgeberin sie fungierte. Für diese Verdienste wurden Ines Geipel und Joachim Walther 2010 mit dem Antiquaria-Preis für Buchkultur ausgezeichnet.
Zu Geipels Ehrungen zählen das Bundesverdienstkreuz (2011), der Antiquaria-Preis, der DJK-Ethik-Preis, Goldenes Band der Sportpresse (2017), Karl-Wilhelm‑Fricke-Preis (2019), Lessing‑Preis für Kritik (2020), Marieluise‑Fleißer‑Preis (2021) und Erich‑Loest‑Preis (2023).
Quellen:

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