Montag, 8. September 2025

Tove Ditlevsen: Böses Glück

Irgendwie sind Kurzgeschichten nicht mein Ding. Die einzigen, die mir bisher gefallen haben, waren "Lauter Leben" von Helga Schubert, die dämonischen Geschichten in "Die Teufelsbraut" von Shirley Jackson und die Kurzgeschichten von Maeve Binchy. Letztere haben mich richtig begeistert. Alle anderen Bücher mit Kurzgeschichten sind anscheinend in einer Ecke meines Gehirns abgespeichert, an die ich nicht so fix rankomme.

Aber auch Tove Ditlevsen kann Storys schreiben. Woraus andere einen Roman machen, das packt sie auf ein paar Seiten. Das muss ich einfach anerkennen, auch wenn es dabei bleibt, dass Kurzgeschichten nichts für mich sind. Ich versinke dann doch lieber in einem Roman. 

Aber für zwischendurch lass ich mich gerne mal überraschen.



Buchinfo

Eine frisch verheiratete Frau sehnt sich obsessiv nach einem gelben Regenschirm. Ein Ehemann verjagt die geliebte Katze seiner Frau. Eine betrogene Mutter entlässt impulsiv ihre Haushälterin. Unter der Oberfläche dieser unbeirrbar scharf beobachteten Geschichten über Liebe und Beziehungen im Kopenhagen des 20. Jahrhunderts pulsieren Verlangen und Verzweiflung. Während vor allem die Frauen darum kämpfen, den ihnen zugewiesenen Rollen zu entkommen, träumen sie davon, frei und glücklich zu werden – ohne je ganz zu verstehen, was das wahrhaft bedeuten könnte. Luzide kartografiert Ditlevsen Momente des Alltags, die ein Leben in eine andere Richtung wenden. Der Band "Böses Glück" zeigt sie als Meisterin der kurzen Form.


Buchbeginn

Der Regenschirm

Helga hatte schon immer, und vollkommen widersinnig, mehr vom Leben verlangt, als es bieten konnte. Menschen wie sie wandeln zwischen uns und unterscheiden sich äußerlich kaum von denen, die instinktiv eine Bilanz ziehen und genau den Platz in der Welt finden, der ihnen gemäß Aussehen, Fähigkeiten und Herkunft zusteht. Hinsichtlich dieser drei Faktoren war Helga bloß durchschnittlich ausgestattet. Als sie auf den Heiratsmarkt entsandt wurde, war sie ein etwas zu kleines und farbloses junges Mädchen mit schmalen Lippen, Stupsnase und - als einzig vielversprechendem Vorteil - einem Paar großer, fragender Augen, die ein aufmerksamer Beobachter als "verträumt" beschrieben hätte. Nach ihren Träumen gefragt, wäre Helga jedoch in Verlegenheit geraten.


Zitate

Gretes Rücken tat weh, als hätte sie jemand geschlagen. Ihr wurde schwarz vor Augen, so sehr hasste sie den Vater. Sie presste die spitze Metallkrone ihres Ringes in den Mittelfinger, bis ein weißer Abdruck entstand, der langsam rot wurde. Sie wagte es nicht, sich zu rühren, weil sie fürchtete, dass ihre Mutter sonst nicht unbeschadet zur Tür hinauskam. Sie hörte sie hinter sich hastig atmen.


Manchmal hatte sie geradezu Schuldgefühle wegen ihres eigenen langweiligen Seelenlebens, denn in diesem Kreis erschien es ihr ein wenig armselig, dass sie inmitten einer wahnsinnigen und kriegsgebeutelten Welt an den notwendigen kleinen Dingen festhalten konnte, vor deren Hintergrund sich ihr Leben entfaltete.


Ja, jetzt ist er glücklich, dachte sie, diese Menschen vergöttern ihn, er braucht mich nicht. Und wenn sie gegangen sind, dachte sie mit einem Mal, wird er mich die restliche Nacht wach halten, indem er über das Fest redet, und ich muss ihm unbedingt beipflichten, dass seine Freunde die großartigsten Menschen sind - alles, was ihm wichtig ist, soll ich auch mögen und trotzdem wissen, dass ich den anderen nicht das Wasser reichen kann - und mit dem werdenden Kind bin ich ganz allein. Wenn er es erwähnt, dann nur als zusätzliche Belastung, wie eine Metzgerrechnung oder einen hartnäckigen Gläubiger.

 

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