Samstag, 10. Mai 2025

Eliza Orzeszkowa: Marta (1873)

Mit dem kleinen Roman „Marta“ gelang der polnischen Schriftstellerin Eliza Orzeszkowa (1841–1910) vor über hundert Jahren der Durchbruch zu weltweiter literarischer Anerkennung. Die Geschichte der Marta Swicka, die, aus „gutem Hause“ stammend, in der Wärme wohlbehüteter Verhältnisse aufgewachsen, sich plötzlich gezwungen sieht, für sich und ihr Kind einen ermüdenden Kampf um die nackte Existenz zu führen, nahm die Autorin zum Anlass, den Finger auf die unhaltbare Rechtlosigkeit der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft zu legen. Mit dem unbestechlichen Blick des Realisten, mit dem sie sich in ihren späteren Werken, wie der „Hexe“ (1885) oder dem „Njemenfischer“ (1888), liebevoll auch der Gestalten des einfachen Volkes annimmt, unterzieht sie die vom Mann bestimmten Konventionen, Klischees und Denkgewohnheiten einer spöttischen Kritik und mißt diese an den hohen Idealen des bürgerlichen Humanismus. Die damals knapp dreißigjährige Schriftstellerin, die heute neben Boleslaw Prus und Henryk Sienkiewicz zu den Begründern des Realismus in der polnischen Prosa zählt, konnte sich dabei auf eigene bittere Erfahrungen berufen, die sie sammeln musste, ehe sie in ihrer Heimat als bedeutendste Autorin des 19. Jahrhunderts gefeiert wurde.

Verlag der Nation, 1990
Übertragen von Peter Ball
Nachwort: Dietrich Scholze


Buchbeginn
Das Leben der Frau ist eine ewig brennende Liebe - sagen die einen.
Das Leben der Frauen ist Hingabe - sagen die anderen.
Das Leben der Frau ist Mutterschaft - rufen die dritten.
Das Leben der Frau ist ein Spiel - scherzen noch andere.
Die Tugend der Frau ist blindes Vertrauen - sagen einmütig im Chor alle zusammen.
Die Frauen glauben blind; sie lieben, opfern sich auf, erziehen die Kinder, amüsieren sich... sie erfüllen also alles, was die Welt von ihnen erwartet, und dennoch sieht sie die Welt ein wenig Scheel an, von Zeit zu Zeit wendet sie sich an die Frauen in Form eines Vorwurfs und einer Mahnung:
"Schlecht steht es um euch!"


Zitat
Kürzlich gab einer der in unserem Lande angesehensten Schriftsteller (Herr Jan Zachariasiewicz in dem Roman "Albina") der Öffentlichkeit kund, daß die Frauen deshalb physisch und moralisch kranken, weil ihnen die große Liebe mangelt (natürlich die Liebe zu Männern).
Himmel! Welch eine ungeheure Ungerechtigkeit!
Möge der kleine, rosige Gott Eros uns zu Hilfe herbeifliegen und bezeugen, daß unser ganzes Leben nichts anderes ist als ein Weihrauchgefäß, das zu seinen Ehren unaufhörlich glüht!


Kaum sind wir den Kinderschuhen entwachsen, hören wir bereits, daß es unsere Bestimmung sei, einen der Herren der Schöpfung zu lieben...

 

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