Mittwoch, 19. November 2025

Vicki Baum: Der Eingang zur Bühne

Buchinfo

Um Kammersänger Hannes Rassiem, den angebeteten Lehrer am Konservatorium und gefeierten Tenor der Wiener Hofoper, kreisen alle sehnsuchtsvollen Gedanken und Wünsche der Gesangsschülerinnen Elisabeth Kerckhoff und "Dima" Dimatter. Während die schmalgliedrige, kindlichzarte Elis zu entsagungsvoller Träumerei neigt - ein Hang, der sich auch in ihrer Vorliebe für schwermütige Schubertlieder äußert - bringt die vitale und leidenschaftliche Dima sowohl stimmlich als auch vom Temperament her alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere mit. An der Seite Hannes Rassiems, dessen „Tristan" nie hinreißender gewesen ist, singt sie die Isolde. In einer Loge aber stirbt, berauscht nicht nur von der Droge Wagnerscher Musik, die kleine Elis den Liebestod. Sie hat eine Überdosis Morphium genommen und läßt sich, während Musik und Gift ihre Wirkung tun, in eine andere Welt hinübergleiten .. .

Zitat

Nach Hause gehen, dachte sie, sich hinlegen, nicht an ihn denken, ein Buch lesen; Elis hatte ihr neulich eines in die Hände geschoben, Wagners Aussprüche über "Tristan und Isolde". Da konnte man lernen. Ihre Gedanken sprangen erlöst von Rassiem ab und wanderten in jene hyazintheblaue Tristannacht, die zu gestalten war und schwere Rätsel aufgab. Auf der Treppe, die voll von summenden Menschen war, wurde ihr etwas Warmes, Unangenehmes auf den Nacken gelegt, ein Atem kam ihr nahe. Sie traf Herrn Blaulichs erhitztes Gesicht, dicht neben ihrem.

Vicki Baum: Hotel Shanghai

Buchinfo

Ein tragisch-melancholischer Gesellschaftsroman über eine Stadt am Vorabend ihrer Bombardierung

"Hotel Shanghai", erschienen 1939, gilt als "Meisterwerk der populären Literatur" und ist doch viel mehr: Die Geschichte von neun Menschen, die zu Beginn des chinesisch-japanischen Krieges aus den verschiedensten Teilen der Welt in einem Hotel zusammentreffen und am Ende durch eine Bombe getötet werden, ist ein Plädoyer für den Frieden und das Leben in seiner vielfältigen, hinreißenden Gestalt.

Vicki Baum schrieb von den 1920er- bis in die 1950er-Jahre zahllose Bestseller und führte das Leben eines Weltstars. Zur Würdigung dieser außergewöhnlichen Schriftstellerin wurden ihre bekanntesten Romane neu aufgelegt.


Buchbeginn

Chang war auf einem Boote geboren, in der Nacht kam er zur Welt, der Fluss leckte mit kleinen Tönen gegen die Planken, die Mutter löste ihn mit einem rostigen Messer von sich los. Am Morgen war sie tot. Er hatte keinen Vater, das Boot war Haus und Wohnung für viele Menschen seiner Familie und ihre Kinder. Mit den Augen, die an seinen Bug gemalt waren, suchte es seinen Weg. Eine Matte über den gerundeten Bambusspreizen war ihr Dach. Seine Schwester, sieben Jahre älter als er, ging in das reiche Dorf, bei dem sie ankerten, und bat um Bohnen für das mutterlose Kind; daraus presste sie eine dünne Milch, die er hungrig von ihren Fingerspitzen saugte. So blieb er am Leben. 

Vicki Baum: Der Weihnachtskarpfen

Kiepenheuer & Witsch, 2021

Buchinfo

Vicki Baums Erzählungsband Der Weihnachtskarpfen in einer großartig gestalteten Neuausgabe. Zeitlose Geschichten, in denen in klaren Worten von Menschen berichtet wird, denen Hunger, Krieg und Tod begegnen – und die dennoch um Menschlichkeit und Würde ringen. 

"Vermutlich das Anständigste, was ich geschrieben habe", urteilte die Autorin selbst kokett über ihre Erzählungen. Gleich die erste des Bandes, "Der Weg", brachte ihr den Hauptpreis eines Wettbewerbs ein und das besondere Lob eines Jury-Mitglieds: Thomas Mann. Baums berührende, fein beobachtete Geschichten wirken beeindruckend modern. Und bei aller Unterhaltsamkeit verhandeln sie wie nebenbei die ganz großen Themen der Existenz: Krieg, Liebe und Tod.

Buchbeginn

Frau Kreitlein öffnete die Türe mit einer Gebärde, als handle es sich um den Eintritt in ein Raritätenkabinett. "Das wäre die Stube", sagte sie und schaute der Dame erwartungsvoll auf den Mund.
 

Friederike Mayröcker: Requiem für Ernst Jandl

Buchinfo

Ein halbes Jahrhundert gemeinsamen Lebens, und das hieß ganz selbstverständlich auch: gemeinsamer literarischer Arbeit, verband und verbindet Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Unmittelbar nach dem Tod des Gefährten im Frühsommer des Jahres 2000 hat Friederike Mayröcker den Schmerz des Verlustes in einer stillen und zugleich leidenschaftlichen Todesklage zu bewältigen versucht, die zu einem Gesang von berückender Intensität wird. In diesem Dokument von tapferster Zartheit ruft sie Erinnerungen an Erlebnisse der gemeinsamen Jahre auf, macht sich Offengebliebenes jäh bewußt, liest Jandls Texte neu. Vor einer plötzlichen und existentiellen Leere erschreckend, fragt sie nach Möglichkeiten und Weisen des Weiterlebens und 
-arbeitens und hört nicht auf, zu einem Gegenüber zu sprechen. "Der Verlust eines so nahen Menschen, eines Hand- und Herzgefährten ist etwas ganz und gar Erschütterndes, aber vielleicht ist es so, daß man weiter mit diesem Herz- und Liebesgefährten sprechen kann nämlich weiter Gespräche führen kann und vermutlich Antworten erwarten darf. Einer einstmals so stürmischen Aura, nicht wahr. Jetzt gestammelt gehimmelt, und weltweit."


Zitat

"... ich schaffe mir Bücher an, die ich wohl kaum in der restlichen Lebenszeit werde lesen können. Aber ich besitze sie, ich kann sie berühren, darin blättern, schon blitzt die Erleuchtung. Ich lese wieder und wieder das zuletzt geschriebene Gedicht, falte es und lege es in meine Schultertasche, daß ich es immer bei mir tragen kann, in der Hoffnung, es bald durch 1 neues ersetzen zu können. [...] Ich lese Briefe an mich, manchmal sind sie wie erregende Botschaften, eben wie Bücher." 

Marlene Krisper: Das ,ordentliche' Leben der Marlen Haushofer - Ein Essay

Ennsthaler Verlag Steyr
2., korrigierte Auflage 2010
978-3850688345

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Marlen Haushofers Frauengestalten in ihren Romanen und Erzählungen sind alle autobiographisch gefärbt, von ihr "abgespaltene Persönlichkeiten", die sich mosaikartig zu einer Figur zusammenfügen.
Es sind, wie die Autorin selbst, Frauen der Nachkriegsgeneration, dem Wiederaufbau und dem beruflichen Erfolg des Mannes verpflichtet. Sie sind eingebunden in einen zeitlichen Kontext der 1950er und 1960er Jahre mit ihren Zwängen und moralischen Tugendvorstellungen. Sie bewegen sich zwischen Rollenanpassung und Aufopferung, zeitweise in Widerstand und Resignation. Sie versuchen mittels Ordnungsstrategien eine Orientierung in ihr Leben zu bringen. Diese Versuche sind letztlich zum Scheitern verurteilt.
Marlen Haushofer ist - wie es aus diesem Essay hervorgeht - nicht die einzige ihrer Generation, die diese verzweifelten Versuche unternimmt.

Buchbeginn

Alles Schreiben ist Fiktion.

Ob über erfundene Protagonisten oder über sich selbst macht wenig Unterschied. Und alles ist Erinnerung, ein Hinterherschreiben, im Moment des Schreibens schon vergangen, gefiltert und verfremdet. Sobald Leben in Schreiben übergeht, wird Erlebtes zur Reflexion.

Sonntag, 16. November 2025

Vicki Baum: Menschen im Hotel

Buchinfo

Vicki Baums zeitloser Klassiker erzählt die Geschichte einer Handvoll Menschen, die an entscheidenden Wendepunkten in ihrem Leben stehen und im Berliner "Grand Hotel" zufällig aufeinandertreffen: die alternde, einsame Ballerina Grusinskaja, die ihr Bühnencomeback vorbereitet, der Hochstapler Baron Gaigern, der es auf Grusinskajas Perlen abgesehen hat, der todkranke Buchhalter Kringelein, der in seinen letzten Tagen aus der gewohnten Rolle ausbrechen und das Leben kennenlernen will, sein Chef, der Fabrikant Preysing, der verzweifelt versucht, seine bankrotte Firma zu retten, und die lebenslustige Sekretärin Christine Flamm, genannt Flämmchen. Vor der Kulisse des luxuriösen Hotels verflechten sich ihre Wege nur für kurze Zeit, aber sie alle werden durch die flüchtige Begegnung tief berührt und verändert - keiner von ihnen wird das Hotel so verlassen, wie er es betreten hat.
Mit "Menschen im Hotel" schrieb Vicki Baum einen einzigartigen Roman voller Wärme und Melancholie, der heute noch durch seine Leichtigkeit und feine Ironie besticht. 1932 wurde er unter dem Titel "Grand Hotel" mit Greta Garbo, Joan Crawford und Lionel Barrymore verfilmt und mit einem Oscar als Bester Film ausgezeichnet. Bis heute wurde der Roman in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Buchbeginn
Als der Portier aus der Telefonzelle 7 herauskam, war er ein wenig weiß um die Nase herum; er suchte seine Mütze, die er im Telefonzimmer auf die Heizung gelegt hatte. "Was war's denn?", fragte der Telefonist an seinem Schaltbrett, Hörer vor den Ohren und rote und grüne Stöpsel in den Fingern.

Samstag, 15. November 2025

Werden Frauen in der Literatur benachteiligt?

Die Antwort darauf lautet oft „Nein“. Schließlich leben wir in einer Zeit und einem Staat, in dem Frauen doch gleichberechtigt sind. Das hat übrigens auch schon die inzwischen nicht mehr existierende DDR von sich behauptet.

Natürlich ließe sich die Frage auf viele Lebensbereiche ausweiten – ich bleibe hier jedoch bei der Literatur. Ich möchte dabei keine Debatte eröffnen, die sich für mich bisher als wenig fruchtbar erwiesen hat, ja, bei der ich mich teilweise sogar beleidigen lassen musste. Und es sind nicht nur Männer, die dieses „Nein“ vertreten – auch viele Frauen sind der Meinung, dass Gleichberechtigung längst erreicht sei. Wozu also noch Feminismus, wozu überhaupt auf mögliche Ungleichheiten aufmerksam machen?

Meiner Meinung nach ist #frauenzählen immer noch notwendig. Das lässt sich gut an einigen Büchern zeigen, in denen es um Schriftstellerinnen* gehen sollte – in denen Frauen aber dennoch deutlich unterrepräsentiert sind.

Die folgenden Beispiele stammen nur aus meinem eigenen Bücherregal – und diese Liste ließe sich zweifellos noch erweitern.


Edition Neue Texte: Wie ich lesen lernte (DDR)
Frauen 1
Männer: 17

Kirsten Wulf, Paul Konrad: Das Rendezvous im Zoo - Liebesgeschichten (DDR)
Frauen: 3
Männer: 40

Rolf Vollmann: Der Romannavigator
Frauen: 20
Männer: 178

Rainer Moritz: Unbekannte Seiten
Frauen: 7
Männer: 31

Michael Maar: Leoparden im Tempel - Portraits großer Schriftsteller
Frauen: 1
Männer: 11

Sascha Michel u. a. Hg.: Mein Klassiker - Autoren erzählen vom Lesen
Frauen: 13
Männer: 23

Isolde Ohlmann: Lesen & Schreiben
Frauen: 30
Männer: 74 

Elisabeth Castonier: Stürmisch bis heiter

 Memoiren einer Außenseiterin

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Elisabeth Castonier, am 6. März 1894 in Dresden als Tochter des Malers Felix Borchardt geboren, wuchs als verwöhntes und behütetes Mädchen auf. Eine Großmutter war Engländerin, die andere Französin, der Großvater mütterlicherseits war Hofarchitekt des russischen Zaren. Gesellschaftlichen Glanz und die Bekanntschaft mit vielen Größen der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schildert die Autorin in ihren Lebenserinnerungen ebenso erregend wie die Boheme der zwanziger Jahre, ihrer eigenen literarischen Anfänge und Erfolge, ihre Ehe mit einem Sänger und die Jahre der Emigration, die sie über Wien und Italien nach England führten. Nach dem Krieg kehrte Elisabeth Castonier nach Deutschland zurück. Sie starb am 24. September 1975 in München.

Buchbeginn

Meine dreisprachigen Vorfahren

Meine englische Großmutter, Elizabeth, hatte gerade ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert, als mein russischer Großvater Alexander de Bosse, aus St. Petersburg bei Nachbarn in Sussex einen kurzen Urlaub verbrachte. Sie lernten sich auf einer Tea-Party kennen, bei der nach englischer Sitte Tische und Stühle im Garten auf einen Teppich gestellt wurden, um die Gäste vor dem feuchten Rasen zu schützen. 

Montag, 10. November 2025

Zofia Nałkowska: Medaillons

Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Marta Kijowska
Schöffling & Co., 2021
3895614645

Die polnische Schriftstellerin Zofia Nałkowska (10. November 1884 - 17. Dezember 1954) beschäftigte sich frühzeitig mit vom Sozialismus geprägten Literaturbewegungen. Ihre Werke waren vom Patriotismus sowie der Wiedererringung der Souveränität Polens am 11. November 1918 geprägt. In ihrem Heimatland gehörte sie immer zur literarischen Elite, doch im Ausland war sie weitgehend unbekannt. Mit Ausnahme der DDR-Verlage, die einige ihrer Werke mehrfach übersetzten.
1899 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Der Mann kann ein erfülltes Leben führen, da in ihm ein Mann und ein Mensch zugleich lebt. (…) Für die Frau bleibt nur ein Bruchteil des Lebens übrig – sie muss entweder ein Mensch oder eine Frau sein.“


Buchinfo
 Medaillons, das sind acht Begegnungen mit Opfern und Handlangern des Nationalsozialismus: Eine Frau befreit sich mühsam aus dem fahrenden Viehwaggon, stolpert über die Gleise und wird auf der Flucht angeschossen. Wie im Traum nimmt sie wahr, dass Menschen um sie herum sich zögerlich fragen, ob sie ihr helfen oder sich lieber in Sicherheit bringen sollen. Eine andere, die für die Ausrottung der Juden Verständnis hat, weil sie deren Hass auf die Polen mehr als die Nazis fürchtet, hört beim Blumengießen auf dem Warschauer Friedhof, wie die verzweifelten Stimmen der im Ghetto Eingeschlossenen zu ihr dringen. Mitarbeiter eines Labors finden nichts dabei, dass ihr deutscher Vorgesetzter aus Menschenknochen Seife herstellt. Es sind Geschichten des Grauens, die eine Beobachterin in einer zugleich glasklaren und poetisch dichten Sprache einfängt. Sie selbst hält sich im Hintergrund und verzichtet auf jegliche Wertung, wodurch sie die geschilderten Verbrechen und Leiden umso intensiver für sich sprechen lässt. Zofia Nałkowskas 1946 erschienene, von Marta Kijowska neu übersetzte und mit einem Nachwort versehene Medaillons gelten als ein Meisterwerk der Miniaturprosa und einer der wichtigsten Texte der polnischen Kriegsliteratur. »Dieses Schicksal haben Menschen den Menschen bereitet«, lautet Nałkowskas Erkenntnis, die bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat. 

Buchbeginn
Professor Spanner
An jenem Morgen waren wir dort zum zweiten Mal. Es war ein klarer, kühler Maitag. Vom Meer her wehte ein frischer Wind; er rief etwas in Erinnerung, das Jahre zurücklag. Hinter den Bäumen der breiten asphaltierten Allee stand eine Mauer, dahinter erstreckte sich ein großer Innenhof. Wir wussten bereits, was wir zu sehen bekommen würden.
 

Samstag, 8. November 2025

Margaret Mitchell: Vom Winde verweht

Die US-amerikanische Schriftstellerin Margaret Mitchell (8. November 1900 - 16. August 1949) wuchs in einer der einflussreichsten Familien in Atlanta auf. Wie ihre Heldin Scarlett O'Hara war sie widerborstig, eigensinnig und rebellisch. Ihr erster Mann war ein Alkoholiker. Gegen den Willen ihrer Familie suchte sie sich einen Job und arbeitete beim Atlanta Journal. 1924 ließ sie sich scheiden und heiratete 1925 erneut.
"Vom Winde verweht" war das einzige Buch, das sie schrieb. Sie begann es, als sie 1926 wegen Verletzungen und Arthritis längere Zeit ans Bett gefesselt war. Zehn Jahre sollte die Fertigstellung dauern. 1937 wurde sie dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Vom Winde verweht
Aus dem Amerikanischen von Martin Beheim-Schwarzbach
Ullstein
1. Auflage 2004
5. Auflage 2010

Buchinfo
Erzählt wird die Geschichte der Südstaatlerin Scarlett O'Hara, Tochter eines Plantagenbesitzers, die während des amerikanischen Bürgerkrieges (1861-65) und in den Wirren der Nachkriegszeit mit aller Kraft um die Erhaltung ihres Familienbesitzes kämpft. Zwischen ihr und dem skrupellosen Rhett Butler, der im Krieg reich wird, entwickelt sich eine große Liebe, die jedoch keine Erfüllung werden kann. Diese abenteuerlich-romantische Liebesgeschichte zur Zeit der Sezession wurde zum Klassiker unter den amerikanischen Bestsellern. Bereits im ersten Halbjahr nach ihrem Erscheinen im Jahre 1936 verkauften sich 500.000 Exemplare. Drei Jahre darauf verfügte die berühmte Verfilmung des Romans mit Vivien Leigh und Clark Gable.

Buchbeginn
Scarlett O'Hara war nicht eigentlich schön zu nennen. Wenn aber Männer in ihren Bann gerieten, wie jetzt die Zwillinge Tarleton, so wurden sie dessen meist nicht gewahr. Allzu unvermittelt zeichneten sich in ihrem Gesicht die zarten Züge ihrer Mutter, einer Aristokratin aus französischem Geblüt, neben den derben Linien ihres urwüchsigen irischen Vaters ab. Dieses Antlitz mit dem spitzen Kinn und den starken Kiefern machte stutzen. Zwischen den strahlenförmigen, schwarzen Wimpern prangte ein Paar blaßgrüner Augen ohne eine Spur von Braun.Die äußeren Winkel zogen sich ein klein wenig in die Höhe, und auch die dichten, schwarzen Brauen darüber verliefen in einer scharf nach oben gezogenen, schrägen Linie von jener magnolienweißen Haut, die in den Südstaaten so geschätzt und von den Frauen Georgias mit Häubchen, Schleiern und Handschuhen ängstlich vor der sängenden Hitze geschützt wird. 
 

Eleonore Holmgren: Vielleicht der schönste Sommer

 Deutsch von Annika Ernst
dtv, 2023

Buchinfo
Das Glück einer außergewöhnlichen Freundschaft

Adam, Anfang zwanzig und auf die schiefe Bahn geraten, sucht Zuflucht auf der Schäreninsel Lindö. Kurzerhand steigt er in ein vermeintlich leerstehendes Haus ein. Am nächsten Morgen trifft er dort die 86-jährige Britta, die den Sommer in ihrem Häuschen verbringt. Nach einem Kreuzverhör darf Adam bleiben. Die beiden ahnen nicht, dass ihnen ein magisch schöner Sommer bevorsteht...

Buchbeginn
Britta
Sie war ihrem Ziel so nah, dass sie schon glaubte, die vertrauten Geräusche und die Gerüche wahrzunehmen, die zu Lindö gehörten. All das, was sie glücklich machte. 


Ein sehr leises Buch. Zu Britta und Adam gehören noch Brittas langjährige Freundin Iris und ein paar andere Menschen. Manch einer würde sagen, es ist stinklangweilig, aber ich fand es so schön, wie die beiden alten Frauen dem jungen Mann etwas fürs Leben mitgeben.