Samstag, 31. Mai 2025

Nuala O'Faolain

 Die irische Journalistin und Schriftstellerin Nuala O'Faolain (1. März 1940 - 9. Mai 2008) war das zweitälteste von neun Kindern. Ihr Vater war ein bekannter irischer Journalist. Sie studierte, arbeitete als Universitätsdozentin, Fernsehproduzentin und wurde dann eine renommierte Kolumnistin der Irish Times.

Sie beschrieb ihre jungen Jahre als Aufwachsen in einem katholischen Land, in dem man ihrer Ansicht nach Sexualität fürchtete und ihr sogar Informationen über ihren Körper verbot. Sie schrieb über ihre Frustration über den Sexismus und dass von ihr erwartet wurde zu heiraten und Kinder zu bekommen - was sie nicht tat. 

In "Nur nicht unsichtbar werden: ein irisches Leben" schreibt sie offen über ihre fünfzehnjährige Beziehung mit der Journalistin Nell McCafferty, die ihre eigenen Memoiren mit dem Titel „Nell“ veröffentlichte.

Bis zu ihrem Tod lebte Nuala O'Faolain mit dem Anwalt John Low-Beer und seiner Tochter zusammen. 

Sie erkrankte an Krebs, der weit fortgeschritten war. In ihrem letzten Lebensjahr wurde sie im Radio interviewt und sagte: „Ich will nicht mehr Zeit. Als ich hörte, dass ich sterben würde, war alles Gute aus dem Leben verschwunden.“




Anneliese Probst: Die fröhliche Insel

Buchinfo

Plaudereien voller Leben und Wärme! Anneliese Probst erzählt kleine und große Begebenheiten, wie sie jedem täglich begegnen, und solche, die nur der bemerkt, der auf sie achtet.

Sie wirft Skizzen auf das Papier und pralle, runde Bilder. Mit diesen Skizzen und Bildern gibt sie Streiflichter voll Leben einer ,,fröhlichen" Familie, in der es auch einmal traurig zugeht. Über den Plaudereien liegt Frohsinn, vor allem über den Geschichten vom kleinen Stefan, dem Sechsjährigen.

Sein heißes Kinderlachen und sein jubelndes Stimmchen klingen durch das ganze Buch. Er wächst auf in der Geborgenheit und dem Schutz, die letzten Endes nur eine Familie geben kann.

Spürt er nicht vom ersten Tage seines Lebens an die Kräfte der Bewahrung? Und kann er sie je ganz vergessen? Werden sie nicht unverlierbar in ihm weiter wirken? Die Mutter, Barbara Haeger, wünscht und hofft das nicht nur. Sie versucht mit Tatkraft und Charme, ihre drei Kinder zu leiten, umsichtig in ersten Schul-, Berufs- und Liebesangelegenheiten und vorsichtig in Fragen nach dem „Glauben". Nicht allein für die Angehörigen bedeutet eine „intakte" Familie Geborgenheit und Anregung. Auch den Menschen, die mit ihr in Berührung kommen, gewährt sie in äußerer und innerer Not Verständnis und Hilfe. Und finden nicht alle, wo sie Zuflucht suchen, im Geben und Nehmen das Dach für sich selbst?

 

Anneliese Probst: Unterwegs nach Gutwill

Buchinfo

Trauer, Unzufriedenheit und Angst vor dem Alleinsein bestimmen die Gefühle Katharina Bessners seit dem Tod ihres Mannes. Im Beruf als Sachbearbeiterin findet sie keine Befriedigung, ihre Töchter haben sich längst einen eigenen Lebenskreis geschaffen. Wird sie als Mittfünfzigerin ihrem Leben noch einen Sinn geben können ? Vermag sie noch einmal etwas Neues zu beginnen?

 

Freitag, 30. Mai 2025

Carson McCullers

Als Carson McCullers (19.02.1917 – 29.09.1967) zur Welt kommt, ist ihre Mutter überzeugt, dass sie ein zukünftiges Genie geboren hat. In ihren bekannteren Werken schreibt sie über Menschen, die durch körperliche Behinderungen oder aus anderen Gründen zu Außenseitern wurden.
 

Carson McCullers: Uhr ohne Zeiger

Übersetzung: Elisabeth Schnack
Diogenes, 2022


Buchinfo

Eine Uhr ohne Zeiger ist ein ganz und gar sinnloses Gerät; ein Zeitanzeiger, der keine Zeit anzeigt, ein Unding! Carson McCullers wählte dieses schwer verständliche Symbol als Titel für eine Erzählung, in der normale Zeitbegriffe und vollends Termine keinen Platz finden: ein Mann erfährt von seinem Arzt, daß er an einer unheilbaren Krankheit leide. Die Frist bis zum Sterben ist nicht exakt vorauszusagen. Des Mannes Lebensuhr hat keine Zeiger mehr!

Der Apotheker Malone, den die ärztliche Untersuchung zum Tode verurteilt, lebt in einer Stadt des amerikanischen Südens. Was sich da bis zu diesem Zeitpunkt abspielte, war durchschnittlicher amerikanischer Alltag. Alles hielt sich im gewohnten Rahmen; es gab wenig Grund zu großer Aufregung; man lebte, man liebte, man zog Kinder groß und hatte die üblichen Sorgen mit ihnen; man trank, man feierte Feste, und man verdaute. Der Bürger hatte seine Ruhe; auch der Apotheker Malone lebte ungestört dahin. Im Augenblick aber, da ihm der Tod so nahe gerückt wird, taucht der kleinstädtische Alltag in den Brennpunkt eines Vergrößerungsglases. Das Unscheinbare erscheint wichtig, das Kleine wird groß, das Unbedeutende bedeutsam. Die Kunst der Carson McCullers macht aus diesem Stoff eine atemberaubende Geschichte. 

Camilla Collett

Die norwegische Schriftstellerin Camilla Collett (23.1.1813 - 6.3.1895) gilt heute als erste norwegische Frauenrechtlerin.

Sie wurde auf einem Mädcheninternat in Kristiania und einer von Herrnhutern geleiteten Schule in Christiansfeld (Schleswig) ausgebildet und ging danach öfter auf Auslandsreise. In Hamburg kam sie mit den Schriften der literarischen Bewegung Junges Deutschland in Berührung. Für ihren Brief- und Tagebuchstil orientierte sie sich an ihrem Vorbild Rahel Varnhagen.

Verheiratet war sie seit 1841 mit dem  liberalen Juristen und Literaturkritiker Peter Jonas Collett, der ein wichtiger Gesprächspartner für sie wurde und sie zum Schreiben anregte.


Es gibt nur einen Roman von Camilla Collett: „Die Töchter des Amtmanns“. Er erschien 1854 und 1855 in zwei Bänden. Mit diesem Werk und ihren weiteren Schriften übte Camilla Collett nicht nur großen Einfluss auf die allmählich entstehende Frauenbewegung Norwegens aus, sondern auch auf Schriftsteller wie Jonas Lie, Henrik Ibsen und Alexander Kielland. Sie kämpfte gegen die allein ökonomisch motivierte Versorgungsehe und forderte Respekt für die Empfindung der Frauen.

Des Weiteren veröffentlichte sie Erzählungen, ihre Memoiren und Schriften.

 

Brigitte Reimann: Das grüne Licht der Steppen - Tagebuch einer Sibirienreise


 Herausgegeben und mit einem Vorwort von Julia Finkernagel
Mit einem Auszug aus dem privaten Tagebuch und Fotos von Thomas Billhardt
Reihe: Die Reise-Reihe gegen Fernweh
Verlag: Büchergilde, 2024


Buchinfo

In ihrem literarischen Tagebuch berichtet Brigitte Reimann über eines der eindrücklichsten Erlebnisse: ihre Reise nach Sibirien im Sommer 1964 mit einer Delegation des FDJ-Zentralrats. Mit all ihrer Begeisterungsfähigkeit und sinnlichen Beschreibungskunst schildert sie grandiose Landschaften und Menschen, die voller Elan und unter widrigsten Bedingungen Neues schaffen. Gleichzeitig entsteht eine Reportage über das Reisen schlechthin und ein Selbstporträt Brigitte Reimanns-


Buchbeginn

Hoyerswerda, 4.7.64

Gestern abend rief Kurt an: Pack deinen Koffer, Dienstag fliegen wir nach Sibirien. Eine Delegation vom Zentralrat, du wirst schreiben. Keine Ausreden, keine Bedenkzeit. Route: Moskau, Zelinograd, Nowosibirsk, Irkutsk, Bratsk, Moskau. Nimm ein paar Pullover mit, in Sibirien kann es kalt sein. (Bei Sibirien fällt mir ohnehin zuerst Kälte ein.) Und damit du es gleich weißt: Du mußt arbeiten bis zum Umfallen.


Zitate

"Zelinograd, 9.7.

In dem kurzen harten Steppengras standen Flugzeuge, Rumpf und Tragflächen grellsilbern vor dem von Hitze ausgebleichten Himmel - das war das erste Bild, und dann nur noch ,Himmel', ohne Begrenzung und ohne Horizonte, über einer graugrünen Ebene, an der sich kein Hügel, kein barmherziger Baum erhebt..."

"Der Platz vor dem Versammlungshaus war ein Sumpf; mir ist schon in Zelinograd aufgefallen, daß sich hier und da an der Straße und zwischen Häusern morastige Tümpel ausdehnen; die man gleichmütig durchwatet. Wahrscheinlich stören sie niemanden außer den befreundeten Gast - aber ich war nicht einmal befremdet, ich kenne diese Bilder aus meiner Stadt, deren Plätze sich bei Regenwetter in Seen verwandeln: nachlässige Projektierung für den Straßenbau, falsche Berechnung für Abfluß und Gefälle... der Bürger flucht und gewöhnt sich. Schlamperei, dauerhaft gemacht durch Geduld und Trägheit."

"Der moderne Wissenschaftler muß sich als Diener seines Volkes begreifen, und die Jugend muß verstehen lernen, daß die pünktlichen und ehrlichen Resultate ihrer Forschungen der Verbesserung der Lebensbedingungen des Volkes dienen, nicht zuerst dem persönlichen Ruhm und dem eigenen Bankkonto. Die Wissenschaft, hat Pawlow gesagt, fordert von einem Menschen das ganze Leben, und wenn er zwei Leben hätte, so reichten sie doch nicht aus, all das zu schaffen, was er sich vorgenommen hat."



Brigitte Schwaiger: Der Himmel ist süß

Vormittags ein Klosterkind, nachmittags ein Gassenkind... Aus kindlicher Perspektive, von der Autorin streng, manchmal maliziös kontrastierend geordnet, erzählt das Mädchen Gitti Lust und Last einer katholischen Kindheit. In kurzen, prägnanten Sätzen mit wörtlicher Rede zeigt die Autorin mit dem unverstellten Phantasie- und Spieltrieb des Kindes eine elementare Lust am Heiligen, die Last der frühen Verantwortung, der Verbote, der Seele, der Sünde. Indem sie sich im Gespräch mit Eltern, Freunden, den Nonnen ihrer Schule einen Reim aus den vielfältigen Erscheinungen oberösterreichischer Volksfrömmigkeit zu machen müht, wächst sie über sie hinaus. Das zu Wahrhaftigkeit aufgelegte Kind spürt die Anstrengung, übernommene Lehre und eigene Erfahrung in Einklang zu bringen. 

 

Božena Němcová: Die Großmutter

Die Titelfigur der Großmutter Magdalena Novotná zählt zu den schönsten Frauengestalten der Weltliteratur

In dem 1855 erschienenen Werk schildert die Dichterin ihre idealisierten, poetisch ausgeschmückten Kindheitserinnerungen, zum Trost gegen die harte, von Armut, Krankheit und Schicksalsschlägen geprägte Wirklichkeit. Die Großmutter steht im Mittelpunkt der 18 Bilder aus dem ländlichen Leben und die anheimelnde, doch keineswegs konfliktlose Atmosphäre der "guten alten Zeit" wird in ihrem Leben und Wirken eingefangen. Kein geringerer als Franz Kafka schwärmte von der "Sprachmusik" des Werkes und ließ sich durch den Stoff inspirieren.

 

Donnerstag, 29. Mai 2025

Christa Anita Brück: Ein Mädchen mit Prokura (1932)

Herausgegeben von Magda Brinkmann und Nicole Seifert
Rowohlt Taschenbuch Verlag. Hamburg 2023
rororo Entdeckungen 1


Buchinfo

Ein Klassiker der 1930er-Jahre-Literatur, neu entdeckt: das Schicksal einer klugen und ehrgeizigen Frau als Bankangestellte in der Weltwirtschafskrise

Berlin, 1931. Thea Iken ist Prokuristin im Bankhaus Brüggemann Sohn. Sie ist unbedingt loyal, arbeitet viel und genießt das Vertrauen des Bankdirektors, dem sie freundschaftlich verbunden ist – für seinen jugendlichen Sohn ist sie eine Art Ersatzmutter. Den übrigen Angestellten ist sie ein Dorn im Auge oder bestenfalls ein Rätsel, denn sie gibt wenig von sich preis. Die aufkommende Bankenkrise versetzt Thea und ihre Kollegen wie den Rest der Welt in Aufruhr. Existenzen sind bedroht oder werden zerstört, die Welt wirkt ungewiss und bedrohlich. Als es in der Bank zu einem Mord kommt, gerät Thea gar in Verdacht. Sie wird verhaftet. Klar ist, sie hat etwas zu verbergen – doch ist es wirklich ihre Schuld?


Buchbeginn

Spelzig, der aufgeregt und spindelbeinig neben seinem Anwalt hertippelt, findet kein Ende mit Instruktionen.

Holsten hört nur mit halbem Ohr auf das Geschwätz. Er hat einen heißen Tag vor sich: um zehn Moabit, elf Uhr dreißig Landgericht III, zwölf Uhr Charlottenburg.

Morgen beginnt die Hauptverhandlung im Sensationsprozess Ina von Stuck. Ein Unfug, dass er überhaupt mitzockelt mit diesem alten Trottel, denn das ganze Schwelverfahren ist natürlich eine verrückte Idee.

Hier gibt es die Verfilmung:

 

Anneliese Probst: Vergiß die kleinen Schritte nicht

Buchinfo

Die bekannte Hallenser Autorin, ihren Lesern seit langem vertraut als aufmerksame Beobachterin der kleinen Nöte und Freuden des menschlichen Miteinanders, zeichnet in dieser mit viel persönlichem Engagement entstandenen Erzählung das Bild einer Frau in mittleren Jahren, die sich - von Beruf freischaffende Grafikerin - durch ihre späte Heirat mit einem tatkräftigen Pastor plötzlich den konventionellen Pflichten einer "Pfarrfrau" und den unvermeidlichen Vorurteilen eines großen Teils der älteren Gemeindegeneration gegenübergestellt sieht. Mit spürbarer innerer Anteilnahme schildert Anneliese Probst mannigfaltige Konflikte, die sich zwischen der eigenen beruflichen Neigung der Künstlerin Claudia Koller und der seelsorgerlichen sowie diakonischen Verantwortung einer im Blickpunkt des örtlichen kirchlichen Lebens stehenden Frau ergeben. Nach einem schwierigen Erkenntnisprozess, in den der Ehemann nur mit aller Vorsicht und liebevoller Geduld eingreift, beginnt sie zu verstehen, dass auch sie - obwohl selbst einen Beruf ausübend und mit mancherlei entmutigenden Erlebnissen konfrontiert - eine Rolle im Dasein ihrer Gemeinde zu spielen hat, ohne im herkömmlichen Sinn nur "angeheiratete billige Arbeitskraft" sein zu müssen.

"Die moderne Berufswelt mit all ihrer Problematik kann dem Pfarrer kaum besser erschlossen werden als durch die eigene Frau, die sich in sie hinein begibt und tätigen Anteil an ihr hat. Dann begreift er, was er selbst mit seiner Arbeit als Seelsorger erreichen kann und wo er beginnen muss, um nicht an der Gemeinde vorbei zu reden und vorbei zu leben." Auf radikale Weise ist dieser Zwiespalt nicht zu lösen - es kommt wie bei allen scheinbar unüberbrückbaren Gegensätzen im Leben auf die "kleinen Schritte" an, die nicht vergessen werden dürfen.

 

Anneliese Probst: Die fünf aus Nr. 19

Buchinfo
Die fünf, das sind fünf Köpfe einer Familie, das Ehepaar Galuba und ihre drei Pflegesöhne. Eine Familie wie viele andere bei uns, eine glückliche Familie. Doch wie schnell sich Glück in Unglück verkehren kann, müssen die Galubas erfahren, als sie die Mutter verlieren. Was soll aus der Familie werden ohne sie: Wird der Vater über seine Verzweiflung die Kinder vernachlässigen, werden die Kinder ins Straucheln geraten, so daß es besser wäre, sie ins Heim zurückzugeben? Ein Gebirge von Problemen türmt sich vor den vier Zurückgebliebenen auf, für sie allein kaum zu bewältigen. Aber sie sind nicht allein. Nachbarn, Arbeitskollegen, Fürsorge und Schule, die Gesellschaft eben, in der sie leben, steht ihnen in ihrer Not bei.

Union Verlag Berlin
1. Auflage 1974
 

Christa Anita Brück: Schicksale hinter Schreibmaschinen (1930)

Buchinfo

Dieses Erlebnisbuch ist die Welt der abertausend Frauen, die Tag für Tag hinter der Schreibmaschine ihre Pflicht erfüllen, unterdrückt, beiseitegeschoben, vielfach mißbraucht und gedemütigt. Sie kämpfen gegen drei Fronten: die Sexualität des Mannes, den falschen Ehrgeiz ihrer eigenen Mitarbeiterinnen und gegen ihre eigene wirtschaftliche und seelische Not. Viele unterliegen in diesem verzweifelten Ringen um Anerkennung und Aufstieg, in ihrer Angst vor dem Altwerden, vor Arbeitslosigkeit und Krankheit, in ihrem Widerstand gegen Nachstellung und die Genüsse dieser Welt. Die Heldin des Buches, selbst seelisch zerbrochen, heimat- und arbeitslos, findet in Verzweiflung und Einsamkeit zu sich selbst zurück und gestaltet in tiefer Verantwortlichkeit in diesem Werk ohne Pathos, mit jener Eindeutigkeit der ungeschminkten Wahrheit, die ,Schicksale hinter Schreibmaschinen', die die Anerkennung wahrer Arbeitsfreude ebenso in sich schließen wie Anklage und Hilferuf.


Leseprobe

Er hat das verhetzte, blutunterlaufene Auge eines wild gemachten Stieres. Ein flüchtiges Mitleid überrascht mich. Ich sage aus diesem Mitleid heraus etwas Ungeheuerliches: "Sie sind überreizt, Herr Murawski. Sie müssen mal ein paar Tage ausspannen."

"Ausspannen? Pleite machen? Nachher als Lump vor fremden Türen betteln?"

"Nun", sage ich und denke, mein Ton wird ihn besänftigen, "so böse wird das nicht gleich auslaufen. Sie müssen doch auch einmal Urlaub haben."

"Urlaub? Also Fräulein, das Wort gibt`s bei mir überhaupt nicht. Bei mir wird gearbeitet, wenn Sie das noch nicht gemerkt haben. Oder bilden Sie sich vielleicht ein, sie könnten hier wochenlang faulenzen im Sommer?"

Ich bleibe ruhig.

"Wir sprechen von Ihnen, Herr Murawski, nicht von mir. Aber selbstverständlich steht auch mir eine bestimmte Urlaubszeit zu."

Rings um mich her erstarren die Gesichter.


Downloadmöglichkeit: https://autonomie-und-chaos.de/images/pdf/auc-54-christa-anita-brueck.pdf

 

Christa Anita Brück

 Christa Anita Brück (9. Juni 1899 - 22. Februar 1958) wurde im wahrsten Sinne des Wortes wiederentdeckt. Und zwar von der freiberuflichen Literaturvermittlerin Magda Birkmann (https://www.magdarine.com/) und der freiberuflichen Autorin, Übersetzerin und Literaturkritikerin Nicole Seifert (https://nachtundtag.blog/). Sie haben Christa Anita Brücks 2. Werk - "Ein Mädchen mit Prokura" - im Zuge der Reihe "rororo-Entdeckungen" im Rowohlt-Verlag herausgebracht. 

Christa Anita Brück war zehn Jahre lang Stenotypistin und Sekretärin in Berlin. Für "Morgen. Ostpreußische Wochenzeitschrift" schrieb sie 1920/21 Beiträge und wurde 1928 im Rundfunk als „ostpreußische Schriftstellerin“ präsentiert. Ihr Artikel "Die Stenotypistin überm Durchschnitt" erschien zu Beginn der 1930er Jahre in einer Betriebszeitung. 1934 heiratete sie den leitenden Bankangestellten Günther Ladisch.

Die Autorin wusste also, worüber sie schrieb. In ihren vier Romanen geht es um die Situation weiblicher Angestellter am Ende der Weimarer Republik. Schon ihr Erstlingswerk - "Schicksale hinter Schreibmaschinen" - erhielt viel Lob und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. So schrieb der Soziologe Siegfried Kracauer in der Frankfurter Zeitung vom 6. Juli 1930:

„Ihr Buch ist ein trefflicher Beitrag zur Bestandaufnahme der Angestelltenwelt; Folgerungen auf die Gesamtsituation dieser Schicht oder gar auf das Gesellschaftssystem, dem sie entwächst, lassen sich nicht aus ihm ziehen.“

Kurt Tucholsky jedoch verriss das Buch ("Die Weltbühne", 23. Dezember 1930): 

„Die Frau Brück hat der liebe Gott leider nicht gesegnet. Diese Angestelltengeschichte ist ein Schmarrn. (...) Unbrauchbar, das Buch.“

1933 wurde es von den Nationalsozialisten auf die "Schwarze Liste der schädlichen und unerwünschten Literatur" gesetzt.

In "Ein Mädchen mit Prokura" wird die Situation kleiner Bankangestellter während der Deutschen Bankenkrise 1931 dargestellt.

Es folgen die Kriminalgeschichte "Der Richter von Memel", die den Hintergrund der litauisch-deutschen Konflikte im damaligen Memelland beleuchtet. Und "Die Lawine" knüpft thematisch an Brücks ersten Roman an. 

Ein weiteres Buch - Wer spricht noch mit Luedemann? - wurde nicht veröffentlicht und scheint verschollen zu sein.


Christa Anita Brück: Der Richter von Memel (1933)

Buchinfo

Die Kriminalgeschichte "Der Richter von Memel" spielt auf dem Hintergrund der litauisch-deutschen Konflikte im damaligen Memelland.


Buchbeginn

Die Chaussee ist leer: kein Bauernwagen, kein Radfahrer, keine Menschenseele zu sehen weit und breit. Links liegt der Wald, ein paar Steinhaufen zur Seite, damit man sieht, daß hier endlich einmal was geschehen soll mit der Straße. Rechts steigt braunes Ackerland zu einem sanften Hügel an. Es hat geregnet. Der Himmel ist übersegelt von flockigem Gewölk. Jetzt bricht etwas Sonne durch. Sie macht die Chaussee blank.

Nichts von der Unruhe, unter der dieses Land erbebt, ist hier draußen spürbar.

Ullstein-Verlag

Božena Němcová

Božena Němcová (4.2.1820 - 21.1.1862) wuchs unter der Obhut der Großmutter auf, während ihre Eltern als Dienerehepaar bei der Herzogin von Sagan arbeiteten. Ihre Ehe mit einem viel älteren Mann verlief sehr unglücklich. 

Sie sammelte Märchen. An der Grenze zwischen Romantik und Realismus stehend, begann Němcová mit sentimentalen patriotischen Gedichten, denen sich kunstvolle Nachdichtungen tschechischer und slowakischer Märchenmotive anschlossen. In Zeiten schwerster Not entstand das meisterhafte autobiografische Werk „Babička“, in dem das ländliche Brauchtum eines Jahres durch die zentrale Gestalt der Großmutter zu einem organischen Ganzen verschmilzt, aus dem sich die einzelnen Typen markant hervorheben.

Ihr eigenes Leben wurde unter dem Titel "Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern" verfilmt: 




 

Mittwoch, 28. Mai 2025

Claudia Erdheim: Betty, Ida und die Gräfin: Die Geschichte einer Freundschaft

Wien, Mitte des 19. Jahrhunderts: Zwei Schriftstellerinnen und eine Dame aus jüdischem Großbürgertum stehen im Zentrum dieses im besten Sinn historischen Romans. Claudia Erdheim lässt die porträtierten prominenten Persönlichkeiten wie die damalige kulturelle und politische Welt höchst eindrücklich lebendig werden.

Die zu ihrer Zeit berühmte Lyrikerin Betty Paoli, die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach und die gebildete Ida Fleischl, die einen literarischen Salon unterhielt, verband eine enge Freundschaft. Die Dichterinnen lasen einander ihre entstehenden Werke vor, besprachen Inhalt und Stil und rauchten dabei leidenschaftlich Zigarren. Emanzipierte, hochintelligente Frauen, prominente Gäste wie Freud und das Ehepaar Laube, Sommerfrischen und die wichtige Rolle der Dienstboten: Diese Lebenswelt bildet den Hintergrund für Claudia Erdheims Roman, in dem sie den gemeinsamen Alltag der Protagonistinnen und die sozialen Spielregeln der Zeit in einer bestechenden Schärfe nachzeichnet.

 

Anneliese Probst

 Anneliese Probst (23. März 1926 - 10. Oktober 2011) wurde in Düsseldorf geboren, 1933 zog die Familie nach Halle (Saale), wo sie das Gymnasium besuchte und die Reifeprüfung bestand. Sie heiratete den Rechtsanwalt Matthias Probst, mit dem sie drei Kinder bekam.

Der Bruder fiel 1941, die Eltern lebten bei ihr, bis sie gestorben sind und als Pfarrersfrau gehörten Beerdigungen zu ihrem Leben. 

1946 begann Anneliese Probst literarisch zu arbeiten. Zudem wurde sie bei der DEFA Dramaturgin für das Kinderfilmstudio. Als ihr Mann starb, heiratete sie ein zweites Mal - Pastor Christof Seidler. 1994 starb auch er. Sie lebte dann in einem Seniorenheim in Holleben bei Halle (Saale).

Anneliese Probst war eine fleißige Schreiberin. So manches Mal waren es zwei oder drei Bücher im Jahr. Und wie viele andere Schriftstellerinnen, hat sie keine große Lücke in ihrer Schreibbiografie. Sie schrieb Romane, Erzählungen, Kinder- und Jugendbücher. Ihre Werke erschienen zumeist in der "Evangelischen Verlagsanstalt" und im "Union Verlag". Mehr als 1,7 Millionen Exemplare wurden verkauft. Zu DDR-Zeiten gingen wöchentlich 15.000 Exemplare unter dem Ladentisch weg.

Bis 1990 war Anneliese Probst Mitglied des Schriftstellerverbandes der DDR, danach gehörte sie zu den Mitbegründern des Förderkreises der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt.

Ihre Ideen schöpfte sie aus dem Alltag, Zeitungen und aus der Konfrontation und Auseinandersetzung mit Problemen im Rahmen ihrer Stadtverordnetenaufgaben.


Betty Smith: Glück am Morgen

Aus dem amerikanischen Englisch von Eike Schönfeld
Insel Verlag, 2019


Buchinfo

Annie liebt Carl. Und Carl liebt Annie. Und so verlässt die Achtzehnjährige heimlich die Wohnung ihrer Mutter in Brooklyn und zieht in die kleine Universitätsstadt im Mittleren Westen, wo Carl Jura studiert. Sie lassen sich gegen den Willen ihrer Eltern trauen und genießen das Glück, endlich beisammen zu sein, auch wenn der Alltag Schatten wirft: Sie müssen mit wenig zurechtkommen, Carl hat kaum Zeit, Annie dafür umso mehr. Doch das Leben meint es gut mit ihnen, Annie findet neue Freunde, Carl bessere Nebenjobs, Annie besucht klammheimlich Literaturseminare und hat erste kleine Erfolge als Schriftstellerin. Und obwohl sie wenig besitzen, fühlen sie sich reich, denn sie wissen, worauf es wirklich ankommt: Sie haben einander.


Buchbeginn

Es war ein altertümliches Rathaus in einer modernen, fortschrittlichen Universitätsstadt in einem Staat des Mittleren Westens. Der Korridor war lang und dunkel, an der Wand standen in regelmäßigen Abständen schmale Bänke und neben jeder ein Spucknapf aus Messing.

Obwohl es 1927 war und nur noch wenige Männer Tabak kauten, war niemand befugt, die Spucknäpfe wegzuräumen. Also standen sie weiter da. Jeden Morgen putzte der Hausmeister sie und gab einen Zentimeter frisches Wasser hinein, gerade so wie die Hausmeister in den fünfzig Jahren vor ihm. 


Montag, 26. Mai 2025

Dorothy West: Die Hochzeit (1995)

Aus dem amerikanischen Englisch von Christa E. Seibicke

Mit einem Nachwort von Diana Evans
Hoffmann und Campe, 2021


Buchinfo

Shelby und Meade wollen heiraten. Doch in dem elitären Zirkel auf Martha's Vineyard sind nicht alle mit der Verbindung einverstanden. Denn Shelby stammt aus einer Schwarzen Familie – und Meade ist weiß.

Ausgehend von einem Sommertag erzählt Dorothy West (2. Juni 1907 - 16. August 1998) aus dem Leben von fünf Generationen einer Schwarzen Familie. Die junge Shelby, Augapfel der Schwarzen Gemeinschaft auf der Insel Martha's Vineyard, will den New Yorker Jazzpianisten Meade heiraten. Doch Meade ist weiß und hat in den Augen der Familie Cole wenig zu bieten. Sollte es nicht lieber ein Mann aus den eigenen Reihen sein? Die Insel-Gemeinde besteht aus einem elitären Zirkel der Schwarzen Bourgeoisie. Die Angst vor Veränderung ist hier groß, und sie trägt ihre Wurzeln in langen Jahren der Unterdrückung. Doch am Ende muss Shelby die Entscheidung treffen, ob sie ihrem Herzen folgt, und wohin es sie führt.

Die Wiederentdeckung eines großen Klassikers der afroamerikanischen Literatur.


Buchbeginn

An einem Morgen Ende August, dem Morgen vor der Hochzeit, weckte die Sonne, die aus der ruhigen See emporstieg, das Oval aus amorphem Schlaf und verlieh dem Areal von Sommerhäusern Kontur und Proportion.

Die Inselbewohner waren schon auf. Denn es galt, den Sommerfrischlern ihre Milch zu bringen, die Läden für ihre Großeinkäufe zu öffnen, ihnen den Rasen zu mähen und die Autos zu waschen - eine endlose Kette belangloser Aufgaben, die Vorrang hatten, besonders im Oval, dessen Bewohner Schwarze waren und daher auf bevorzugte Behandlung Wert legten.

Karin S. Wozonig: Betty Paoli ― Dichterin und Journalistin: Eine Biographie

Residenz Verlag, 2024


Buchinfo

Mit sechzehn Jahren war sie zum Broterwerb als Gouvernante gezwungen, mit fünfundzwanzig ein Superstar der deutschsprachigen Lyrik-Szene, nach 1848 die erste Journalistin Österreichs. Betty Paoli (30.12.1814 - 05.07.1894) war in turbulente Liebesbeziehungen verwickelt und skandalumwittert, befreundet mit revolutionären Dichtern, mit Franz Grillparzer, Adalbert Stifter und Marie von Ebner-Eschenbach. Sie war Gast in hochadeligen Häusern, Übersetzerin für das Burgtheater und bis ins hohe Alter in den Wiener Salons wegen ihres scharfen Verstands und trockenen Humors von den einen gefürchtet, von den anderen bewundert. Karin S. Wozonig begegnet der Mythenbildung um Paolis Leben mit völlig neuen Fundstücken und Erkenntnissen und würdigt Paolis Bedeutung als Dichterin, Kritikerin und Pionierin der Publizistik.


Buchbeginn

Betty Paoli wurde als Barbara Anna Glück am 30. Dezember 1814 in Wien im Haus Nummer 362 Innere Stadt geboren, im ,Färbergäßl', das an der Grenze der ehemaligen Judenstadt lag. Das Haus gehörte Barbaras Großmutter, im ersten Stock befand sich die Weinhandlung von Franz Carl Dawit und gleich nebenan der ,Sabelkeller', ein traditionsreiches Weinlokal tief unter der Erde. Getauft wurde das Kind wenige Tage nach seiner Geburt in der nahegelegenen Kirche ,Zu den neun Chören der Engel' (Kirche Am Hof), der zweite Taufname ist der Tradition entsprechend der Name der Taufpatin, Anna Dawit, der Frau des Weinhändlers.

 

Alice Berend: Der Herr Direktor (1928)

Mit einem Nachwort von Britta Jürgs
Verlag: AvivA, 1999

Buchinfo

Ganz Berlin trifft sich beim Sechstagerennen, die Großstadt wird, dem Lebensrhythmus der zwanziger Jahre entsprechend, in schnellen Autofahrten durchquert und sportlich-kecke "Neue Frauen" verlieben sich in Radrennfahrer-Stars.

Ein sich rasant wandelndes und überraschend aktuelles Berlin ist die Kulisse für diesen spritzigen Roman, dessen pointenreiche Episoden um den Direktor einer Glühlampenfabrik und seine Familie amüsante Beschreibungen des Berliner Großbürgertums mit Ausflügen in andere Milieus liefern.

Buchbeginn

Woldemar Bohlen, Direktor der Glühlampenaktiengesellschaft, saß in der Badewanne und bemerkte sich selbst zum erstenmal. Er hatte gestern noch spät am Abend durch das Radio vortragen hören, daß die Weisen in Indien nichts anderes verlangten, als daß der Mensch zeitlebens seinen Nabel betrachten möge. Er hatte denken müssen, daß dies ein billiger Zeitvertreib wäre. Er hatte den Lautsprecher abgestellt und den Kurszettel zu studieren begonnen.

Zitat

Die Spree trug hier geduldig den Unrat der Stadt vorüber, Speisereste, Lumpen, Fetzen, Selbstmörder. Ungestört und ungesehen.

Samstag, 24. Mai 2025

Betty Smith: Verwehte Träume

Bertelsmann, 1995

Buchinfo

Im unerbittlichen Großstadtdschungel Brooklyns ist Maggie Moore hin- und hergerissen zwischen der Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse und der Befriedigung der begehrlichen Männer, die ihr Leben dominieren. Konfrontiert mit ihrem streitsüchtigen irischen Einwanderervater, dem verantwortungslosen Liebhaber, der ihr Ehemann werden könnte, und anderen muss Maggie lernen, einen Kreislauf aus Verlust, Trennung und Hoffnung zu meistern, während sie ihren eigenen Weg zum Glück findet.

Buchbeginn

Patrick Dennis Moore trug die engsten Hosen in der ganzen Grafschaft Kilkenny. Er war der einzige Bursche im Dorf, der seine Fingernägel putzte, und sein dichtes, schwarzes, glänzendes Haar, sagte man, hatte den breitesten, saubersten Scheitel von ganz Irland.

Er wohnte bei seiner Mutter. Er war der letzte von einer dreizehnköpfigen Kinderschar. Drei waren gestorben, vier hatten geheiratet. Drei hatte man, als der Vater starb, in ein Waisenhaus gesteckt; sie waren von Farmern adoptiert oder von Handwerkern in die Lehre genommen worden, und man htte nie wieder von ihnen gehört. Einer war nach Australien gegangen, ein anderer nach Dublin. Der in Dublin hatte ein evangelisches Mädchen geheiratet und den Namen Morton angenommen. Patrick Dennis war als einziger bei der Mutter geblieben.

 

Freitag, 23. Mai 2025

Hermynia zur Mühlen

„Wenn ich an die Auflagen denke, die ich noch vor zehn Jahren in Deutschland hatte! Heute sind meine Bücher verbrannt, und eigentlich freut es mich. Wie kommen die dort drüben dazu, etwas zu lesen, das ein anständiger Mensch geschrieben hat. Sie sollen sich an ihre eigenen Schriftsteller halten. An die Leute, die immer alles mitgemacht haben, die, wenn sie erklären, daß die Kunst unpolitisch sei, eigentlich meinen, man dürfe es sich mit keinem verderben. Man kann ja nie wissen. Pack.“


Hermynia Isabelle Maria Zur Mühlen, auch Hermynia zur Mühlen, geborene Hermine Isabelle Maria Folliot de Crenneville wurde am 12. Dezember 1883 als Tochter des Diplomaten Viktor Graf Folliot de Crenneville-Poutet in Wien, Österreich-Ungarn geboren. Die Familie entstammte dem Hochadel der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Schon als Kind und Jugendliche begleitete sie ihren Vater auf ausgedehnte Reisen nach Vorderasien und Afrika. Zunächst erhielt sie Privatunterricht, besuchte dann das Sacre Cœur in Algier und später ein Pensionat für höhere Töchter in Dresden. Sie war examinierte Volksschullehrerin und arbeitete in einer Druckerei.

1908 heiratete sie gegen den Wunsch der Eltern den deutschbaltischen Großgrundbesitzer Victor von zur Mühlen und folgte ihm auf sein Landgut nach Eigstfer (heute Eistvere, Gemeinde Imavere, Kreis Viljandi) im heutigen Estland. Nach einer unglücklichen Ehe ließ sich Hermynia nach 12 Jahren scheiden.

Sie war entsetzt über die Besitzlosigkeit der einheimischen estnischen und livländischen Landbevölkerung im Baltikum. Gemeinsam mit dem Dichter Hans Kaltneker, den sie 1913 kennenlernte, übersetzte sie Gedichte.

Zwischen 1914 und 1919 war sie nach einer Tuberkuloseerkrankung zur Erholung in der Schweiz, von wo aus sie mit großer Sympathie die Oktoberrevolution 1917 in Russland verfolgte.

Dann zog sie nach Deutschland, wo sie der KPD beitrat. Sie lebte mit ihrem Lebensgefährten und späterem Ehemann, dem jüdischstämmigen Übersetzer und Journalisten Stefan Isidor Klein (1889 –1960), in Frankfurt am Main und Berlin. Vornehmlich in "Die Rote Fahne" und "Der Revolutionär" veröffentlichte sie zahlreiche Essays.

Hermynia Zur Mühlen war eine fleißige Schreiberin. Im Berliner Malik-Verlag wurden 1921 ihre von George Grosz illustrierten proletarischen Märchen "Was Peterchens Freunde erzählen" veröffentlicht. Sie schrieb Romane und Kurzgeschichten (meist mit zeitkritischem und antifaschistischem Inhalt), Krimis, Kinder- und Jugendbücher und andere Prosa und verfasste Hörspiele. Und sie schrieb unter verschiedenen Pseudonymen: Franziska Maria Rautenberg, Franziska Maria Tenberg, Traugott Lehmann und Lawrence H. Desberry.

Zudem war sie Übersetzerin von gut 150 Romanen und Erzählungen aus dem Russischen, Englischen und Französischen ins Deutsche. In der Weimarer Republik war sie als "rote Gräfin" eine der bekanntesten kommunistischen Kolumnistinnen und Publizistinnen.

Für ihre Propagandaerzählung "Schupomann Karl Müller" (1924) wurde sie wegen Hochverrats angeklagt, zwei Jahre später aber freigesprochen.

In einem vielbeachteten Brief an ihren Verleger schreibt sie 1933: „Da ich Ihre Ansicht, das Dritte Reich sei mit Deutschland (…) identisch, nicht teile, kann ich es weder mit meiner Überzeugung noch mit meinem Reinlichkeitsgefühl vereinbaren, dem unwürdigen Beispiel der von Ihnen angeführten vier Herren (Alfred Döblin, René Schickele, Stefan Zweig und Thomas Mann beendeten ihre Mitarbeit an der von den Nationalsozialisten angegriffenen Zeitschrift Die Sammlung) zu folgen, denen scheinbar mehr daran liegt, in den Zeitungen des Dritten Reiches, in dem sie nicht leben wollen, gedruckt, und von den Buchhändlern verkauft zu werden, als treu zu ihrer Vergangenheit und zu ihren Überzeugungen zu stehen. […]“

Als die Nationalsozialisten dann an die Macht kamen, ging Hermynia zur Mühlen 1933 nach Wien zurück. Hier schloss sie sich der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller an. Ihre Werke wurden vom NS-Regime auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ gesetzt. Sie distanzierte sich von der KPD, warnte aber weiterhin vor dem Faschismus. 1938 flüchtete sie gemeinsam mit Stefan Klein nach Bratislava, wo sie heirateten. Auch hier fanden sie keine Ruhe; emigrierten im März 1939 nach England, wo sie ihre schriftstellerische Arbeit fortsetzte.

Bis 1948 konnten sie sich ein Leben in London leisten, doch dann - verarmt und schwer erkrankt - lebten sie nördlich der britischen Hauptstadt. Sie arbeitete zwar noch, erhielt aber keine Aufmerksamkeit mehr. Ihr Nachlass gilt als verschollen.

Ihre Werke wurden nach dem Zweiten Weltkrieg erst mal nur in Österreich und der DDR vertrieben.

Am 20. März 1951 starb Hermynia zur Mühlen in Radlett, Grafschaft Hertfordshire, Großbritannien. 

Maria Konopnicka

Maria Konopnicka wurde als Maria Wasiłowska am 23. Mai 1842 in Suwałki, Russisches Kaiserreich, geboren. Sie war eine polnische Schriftstellerin. Ihr Pseudonym als Poetin war Jan Sawa.

Mit ihren fünf Geschwistern wurde sie schon früh durch den Tod der Mutter Scholastyka zur Halbwaise; der Vater Józef Wasiłowski erzog die Kinder im Geiste des Katholizismus und der polnischen Nation.

Im September 1862 heiratete sie den Gutsbesitzer Jarosław Konopnicki. Doch bald schon wurden die Bewohner des Gutes in den Januaraufstand verwickelt und mussten fliehen. Erst nach der Generalamnestie von 1865 kehrten die Konopnickis aus Deutschland zurück, wohin sie geflohen waren.

Sie gaben mehr aus als sie hatten; die inzwischen achtköpfige Familie musste 1872 das Gut verkaufen und in ein kleineres Vorwerk in der Nähe umziehen. 1877 trennte sich Maria von ihrem Ehemann und zog mit den Kindern nach Warschau, wo sie als Schriftstellerin und Nachhilfelehrerin arbeitete. Eine ihrer Töchter wurde krank und so hielt sie sich nach 1890 häufiger im Ausland auf.

Zum 25-jährigen Jubiläum als Schriftstellerin erhielt sie 1902 einen kleinen Gutshof in Żarnowiec bei Krosno geschenkt, wo sich heute ein Museum ihr zu Ehren befindet.

Ihr berufliches Debüt hatte Konopnicka 1875 in der Zeitschrift Kaliszanin.Sie publizierte in vielen weiteren Blättern und gab eine Reihe von Gedichtbänden heraus. Bis heute bekannt ist ihr patriotisches Lied Rota (etwa „Gelöbnis“), das zeitweise als inoffizielle Nationalhymne Polens bezeichnet wurde. Man sieht Maria Konopnicka als eine der wichtigsten Vertreterinnen des polnischen Positivismus.

Maria Konopnicka schrieb Lyrik, Prosa und Kinderbücher. Es gibt einige deutschsprachige Sammelausgaben:

Leben und Leiden. Novellen, Stuttgart 1904
Geschichten aus Polen, München 1916 (enth.: Die alte Banaschin (Banasiowa), Der Xaver (Ksawery), Jusek Srokatsch (Józik Srokacz), In der alten Mühle (W starym młynie), Ein Stilleben (Martwa natura), Die Urbanin (Urbanowa), Anuscha (Anusia), Wojtschech Sapala (Wojciech Zapała), Rauch (Dym), Ein harter Tag (W winiarskim forcie), Marischa (Maryśka), Das Meer (Morze), Der blöde Franek (Głupi Franek), Friedhöfe (Z cmentarzy), Unser Pferdchen (Nasza szkapa))
Sommernächte, Weimar 1918

Einige ihrer Werke sind im Projekt Gutenberg enthalten.

Am 8. Oktober 1910 starb Maria Konopnicka in Lemberg, Österreich-Ungarn. Sie wurde auf dem Lytschakiwski-Friedhof beigesetzt. 

Donnerstag, 22. Mai 2025

Adele Jellinkek: Das Tor

Herausgegeben und kommentiert von Henriette Herwig, Sabrina Huber und Maike Purwin, mit einem Nachwort von Sabrina Huber


Buchinfo

Adele Jellineks Roman "Das Tor" wurde 1929 als Fortsetzungsroman in der Wiener Arbeiter-Zeitung gedruckt, geriet durch das Schicksal der jüdischen Autorin jedoch ebenso in Vergessenheit wie sie selbst. Der Roman fängt ein Stück Wiener Zeitgeschichte ein – ein Zeitbild, das den proletarischen Alltag der Bewohner eines Hauses in der Zwischenkriegszeit zugänglich macht. Im Mittelpunkt der Geschehnisse stehen dabei die fünfzehnjährige Hanna Jörgi und ihre Freunde. Die inneren und äußeren Veränderungen beim Erwachsenwerden schildert der Roman genauso berührend wie die sozialen Umstände, in denen die Kinder und Jugendlichen aufwachsen. Arbeitslosigkeit und Armut sowie die damit verbundenen individuellen und sozialen Folgen prägen das Schicksal und die Entscheidungen der Heranwachsenden. 


Adele Jellinek

 Die österreichische Schriftstellerin Adele Jellinek (02.03.1890 - 03. oder 05.09.1943) schrieb vorwiegend Erzählungen, Feuilletons und Gedichte, die in sozialistischen (Tages-)Zeitungen veröffentlicht wurden. Sie war Mitglied der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. Seit einer misslungenen Operation war sie an den Rollstuhl gefesselt. Ihre letzte Unterkunft fand sie in einem Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde Wien im Alsergrund. Von hier aus wurde sie mit weiteren Insassen des Heimes im Mai 1943 nach Theresienstadt deportiert, wo sie im September 1943 starb.

Dienstag, 20. Mai 2025

Hedda Zinner: Elisabeth Trowe - Filmerzählung

Verlag der Nation Berlin, 1969


Buchinfo

Vielen Fernsehzuschauern wird die Geschichte noch in Erinnerung sein: die Geschichte der Brunnenbauerin Elisabeth Trowe aus dem kleinen mecklenburgischen Städtchen Wilkow, ein Stück Leben, wie es viele von uns erfahren haben. Sie ist Erbin einen Brunnenbaubetriebes, und obwohl sie im Mai 1945 beim Abzug der SS noch mithilft, das Wasserwerk der Stadt zu retten, glaubt sie dennoch, das nun alles zu Ende sei: die Existenz ihres Betriebes, ihrer Heimatstadt, das Dasein überhaupt. Ein sowjetischer Offizier gibt ihr den Mut zum Neubeginn mit einem Sprichwort seiner Heimat, das auch ein alter deutscher Brunnenbauerspruch ist: Wasser ist Leben. Und sie, die ehemals gläubige, nun desillusionierte Hitleranhängerin, die wiedergutmachen will, findet Helfer in Menschen, die sie einst als ihre Feinde betrachtet hatte: in ehemaligen Widerstandskämpfern, Kommunisten, Sowjetsoldaten. So wächst sie fast unmerklich hinein in den Aufbau einer neuen Welt. Und auch, als ihr persönliches Glück auf dem Spiel steht und ihre Verlobung mit einem ehemaligen Offizier zerbricht, die nur eine gefährliche Illusion war, verliert sie den Mut nicht. Sie korrigiert ihren Irrtum und findet schließlich auch zu dem Menschen, den sie wirklich liebt.


Buchbeginn

Der Abend kam schnell, fast ohne Übergang. Letztes Dämmerlicht zeichnete die Umrisse von Häusern und Ruinen gespenstisch gegen den Himmel. Beleuchtung gab es schon lange nicht mehr.
Die kleine Stadt schien zu schlafen, aber der Schein trog. Sie schlief nicht, sie hielt den Atem an. Die ungewohnte Stille wurde nur zeitweise vom Heulen eines Motors, vom Rattern eines Lastkraftwagens unterbrochen. An das ferne Rumpeln der Artilleriesalven, die in regelmäßigen Abständen die Luft erschütterten, hatten sich die Einwohner von Wilkow in den letzten Tagen bereits gewöhnt. Vereinzelt hasteten Menschen irgendwohin, bemüht, ihr Ziel schnell zu erreichen.


 

Hedda Zinner

 Hedda Zinner (20. Mai 1904 - 1. Juli 1994) war Schriftstellerin, Schauspielerin, Kabarettistin, Rezitatorin, Journalistin, Regisseurin und Rundfunkleiterin. Als KPD-Mitglied war sie ab den 1930er-Jahren politisch tätig, publizierte politisch-satirische und gesellschaftskritische Gedichte unter anderem in der Roten Fahne, der Arbeiterstimme, in der AIZ, im Weg der Frau, dem Magazin für Alle und der Welt am Abend. Sie emigrierte 1933 nach Wien, später nach Prag, in die Sowjetunion und nach Ufa.

Nach Kriegsende lebte sie im östlichen Teil Berlins in Pankow. Als ihre Inszenierung "Ein Amerikaner in Paris" vom Intendanten Maxim Vallentin abgebrochen wurde, wandte sich die bis dahin überaus erfolgreiche Bühnenautorin rigoros vom Theater ab, um fortan nur noch Prosa zu veröffentlichen. Bis zu ihrem Tod wirkte sie als Schriftstellerin. Der Beruf scheint in der Familie zu liegen. Auch ihr Sohn John Erpenbeck und die Enkelin Jenny Erpenbeck sind schreibend unterwegs.

Bestattet ist Hedda Zinner auf dem Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden in Berlin-Mitte.

Samstag, 17. Mai 2025

Leona Rostenberg, Madeleine Stern: Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft


 Welcher Antiquariatsbuchhändler kann heute noch solche Geschichten erzählen? Diese beiden Frauen, beide aus jüdischen deutsch-amerikanischen Familien stammend, haben fast ihr ganzes Leben seltenen Büchern gewidmet. 

In dieser Doppel-Biografie erzählen Leona Rostenberg und Madeleine Stern abwechselnd über ihr Leben. Doch vorher berichten sie im Prolog, wie es dazu kam:

Leona Rostenberg und Madeleine Stern (im Weiteren schreibe ich nur Leona und Madeleine) befinden sich 1995 in ihrem für den Sommer gemieteten Landhäuschen in East Hampton, als das Telefon klingelt und sich der Doubleday-Verlag bei ihnen meldet. Die haben einen Artikel über die beiden Frauen in der Times gelesen und fragen nun an, ob sie für den Verlag ein Buch schreiben wollen. Eine gemeinsame Autobiografie etwa. Da das Buch ja erschienen ist (was für ein Verlust, wenn es nicht dazu gekommen wäre), lautete die Antwort nach reiflichen Überlegungen ja.

Im Prolog erfahre ich noch etwas über ihrer beider Herkunft, dass Madeleine schriftstellerisch tätig war und Leona "die überraschende Entdeckung von Louisa Alcotts Pseudonym und ihrer unter Pseudonym veröffentlichten Sensationsromane" machte. Madeleine spürte diese Romane auf und stellte sie zu einer Serie von Anthologien zusammen.

Wunderschön, wie sie ihr Geschäft, den Handel mit seltenen Büchern, beschreiben:

"Es ist ein Geschäft, bei dem Wissen Macht bedeutet und detektivische Fähigkeiten oft eine wichtige Rolle spielen. Das elektrisierende Gespür dafür, was an einer Erstausgabe oder einem frühen Druck besonders bemerkenswert ist, wird in unserer Branche als Fingerspitzengefühl* bezeichnet. Wenn Fingerspitzengefühl* sich mit glücklichem Zufall paart, dann öffnet sich für diejenigen, die mit dem Alten und Seltenen handeln, die Pforte zum Paradies. Leona hat diese Faszination während einer langen Lehrzeit kennen gelernt, und Madeleine hat sie von ihr gelernt. Alle beide sind wir seit einem halben Jahrhundert dieser Faszination erlegen und werden ihr auch weiterhin immer wieder aufs Neue erliegen."

Hach, liest sich das nicht wundervoll? (Anm. d. Übers.: "Ausdrücke, die im Original auf Deutsch stehen, werden durch * gekennzeichnet.") 

Und dann erzählen sie, beginnend bei ihrer Kindheit und immer mit einer Prise Humor. Leona reichte mit zwei Jahren bis zum untersten Regal des Bücherboards, und ihre Mutter prophezeite, dass sie eines Tages eine Schriftstellerin werden würde. Sie liebte Bücher von klein auf und lag ihrer Mutter permanent in den Ohren, in die "Bibothek" zu gehen. Ihre Wahl fiel auf ein "Bilderbuch unserer großen Führer". 

"Stolz marschierte ich mit meiner Wahl von dannen, noch immer den muffigen, staubigen Geruch von Büchern in der Nase, ein Geruch, der irgendwie warm, beruhigend und aufregend zugleich war und der mich für immer begleiten sollte."

Auch Madeleine denkt vielleicht schon in Kindertagen daran, eines Tages eine Schriftstellerin zu werden. Zu ihrem 6. Geburtstag schreibt sie:

"Eines der Geschenke, von der Kusine meiner Mutter, war, was ich meine Schatzkiste nannte. Das war eine braune Schatulle, die in Dutzende von Fächern unterteilt war, und in jedem von ihnen fand sich eine Auswahl an Schreibutensilien. Es gab Büroklammern, Kärtchen und Schlüsselringe, es gab Etiketten, Gummibänder und Schreibfedern, es gab alles, wovon eine Schriftstellerin träumen konnte, und vielleicht sah ich mich damals sogar schon als Schriftstellerin. Ich besaß diese Schatulle viele Jahre lang und hielt sie in Ehren."

Sie berichten, wie sie sich kennenlernen und zusammen arbeiten, sich erst gar nicht sooo sympathisch waren, sich wieder trennen, um eigene Wege zu gehen, die im Endeffekt dorthin führen, wo sie sich wieder treffen und ihr weiteres Leben miteinander verbringen. Als Leona eines Tages wirklich nicht mehr wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, macht Madeleine ihr ein Geschenk, das ihre Zukunft bestimmt.

Dass ich die meisten alten Buchtitel und Autoren nicht kenne, tat meinem Lesespaß absolut keinen Abbruch. Dieses Buch ist schon nach dem ersten Lesen meine Lieblings-Biografie geworden. Mittlerweile habe ich es schon ein zweites Mal gelesen.

Malwida von Meysenbug

Uneingeschränkte Freiheit des Handelns gibt es nicht.

Die Bedingungen unserer eigenen Natur, alle Bande,

die uns an andere knüpfen, sind Beschränkungen

der individuellen Freiheit. Frei ist nur, wer die notwendigen

Fesseln anerkennt und dadurch in dem Allerheiligsten

seiner Seele nicht gestört wird.

     Malwida von Meysenbug


Malwida von Meysenbug wurde als Malwida Rivalier am 28. Oktober 1816 in Kassel geboren. Sie war das neunte von zehn Kindern. Ihr Vater, der Hofbeamte Carl Rivalier, wurde 1825 mit Namensmehrung durch von Meysenbug in den erblichen kurhessischen Adelsstand erhoben. Somit wurde Malwida geadelt und stieg in den Rang einer Freiin auf.

Als ihr Bruder im Säuglingsalter starb, kamen erste Zweifel an Gott in ihr auf:

"Segen strömte aus der Machtvollkommenheit eines gütigen Gottes, wußte Malwida, wenn es sich ihr auch einfacher darstellte. Wie aber konnte der gleiche Gott einen Tag wie den heutigen zulassen? Hatte Gott zwei Gesichter, mußte man, statt ihm grenzenlos zu vertrauen, doch besser ein wenig auf der Hut sein vor diesem Gott?"

Fast neunjährig, wurde Malwida zu Hause unterrichtet. Und sie war eine begierige Schülerin. Lesen und Schreiben beherrschte sie längst, dazu kamen

"Französisch zum Lehrplan, ohne es dabei mit Grammatik und Orthographie allzu genau zu nehmen, Historie, soweit sie sich im Lernen von Jahreszahlen erschöpft, und Geographie kaum über die Grenzen des Landes hinweg. Das Fach Religion übernahm ein Geistlicher gesetzten Alters, der sich durch Zwischenfragen nicht erschüttern ließ, statt dessen aber fehlerfreies Hersagen von Sprüchen und getragenen Liedtexten forderte. Blieben noch Tanz und Handarbeit..."

Doch Malwida erhoffte sich vom Unterricht "Einblick in Literatur und Geisteswissenschaft, systematisches Durchnehmen und Kennenlernen der Werke und Namen von Gottsched bis Goethe" - jedoch hoffte sie darauf vergeblich. Ihren Lesehunger stillte sie heimlich in Mamas Bibliothek.

Als Kurfürst Wilhelm II., für den Malwidas Vater tätig war, wegen Unruhen auf Reisen ging, musste der Vater ihn begleiten. Das wiederum belastet die Ehe der Eltern. Bis die Mutter darauf bestand, dass die Familie ihm folgte. Was doch sehr beschwerlich war, da sie nie lange an einem Ort blieben.

1832 kam von Kammerherr Funck von Senftenau, den die heißgeliebte Schwester Louise geheiratet hat, der Vorschlag, nach Detmold zu kommen.

Hier wurde sie konfirmiert und galt nun als erwachsen, was ihr einige Freiheiten erlaubte. So langsam überlegte sie, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Einen ersten Heiratsantrag, den sie mit zwanzig bekam, schlug sie aus.

"Noch biegsame und empfängliche Naturen, in die Form einer Ehe gegossen, nehmen Gestalt nach dem Diktat eines anderen an und bleiben abhängige Geschöpfe, die durch die Augen dieses anderen sehen, ja nach dessen Willen handeln."

Mit dem Tod ihrer geliebten Schwester Louise war trotz der Entfremdung der letzten Jahre ihre Kindheit dahingegangen.

Nach einer unglücklichen Liebe kam bald ein Brief vom Vater, der sich fünf Monate freistellen ließ, und die Familie zog nach Potsdam. Hier nahm Malwida Unterricht beim Landschaftsmaler Carl Morgenstern.

Nach einiger Zeit begannen die Leute zu reden. Wie sie rumlief, mit diesem Malerkittel, und immer alleine mit dem Mann im Atelier, was da passieren könnte. Wenn es der Alte wäre, aber der Junge, im heiratsfähigen Alter. Doch Malwidas Eltern vertrauten ihr.

Bis zu dem Tag, als der Vater wieder zum Fürsten muss, und die Frauen wieder zurück nach Detmold sollen.

Nach einer Predigt von Theodor Althaus gründete Malwida mit ihrer Schwester Laura einen Verein der Arbeit für Arme. In diesem Verein sollten Kleider, Strümpfe, Schürzen und Ähnliches hergestellt werden, die dann an Arme verteilt werden. Es begann schleppend, doch nachdem die ersten Produkte hergestellt und bedürftigen Familien übergeben wurde,

"setzte geradezu eine Flut von Nachfragen um Mitgliedschaft ein. Unter den Töchtern der Detmolder Gesellschaft galt es als unabdingbar, dem Verein beizutreten, ja jede wollte der anderen zuvorkommen".

Malwida, inzwischen 29 Jahre, hatte noch kein eigenes Leben - sprich, sie war noch nicht verheiratet. Doch sie liebte den Theologiestudenten Theodor Althaus. Er kam so oft wie möglich in ihr Elternhaus, sie schrieben sich Briefe. Darin ging es aber weniger um ihre persönliche Beziehung, als viel mehr um Fragen der Religion, der Politik und vor allem sozialer Belange.

Als er doch persönlicher und liebevoller in seinen Briefen wird, verweigert sich Malwida ihm als Frau. Er ist einige Jahre jünger als sie, noch Student, könnte keinen eigenen Hausstand gründen. Und eine Verbindung käme ja in ihren Kreisen nur durch eine Heirat infrage. Nach einiger Zeit fügt er sich. Ihnen fehlte auch die Möglichkeit, sich in der Hinsicht auszusprechen. Sie sahen sich zwar fast täglich, doch es war ständig eine Anstandsperson dabei.

Durch den Umgang mit Theodor Althaus entwickelte sich immer mehr ihr aufklärerisches Gedankengut. Sie regte sich maßlos auf, wenn ein "Sachverhalt unlogisch motiviert war und zudem darauf abzielte, einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen zu verletzen. Diese Eigenschaft Malwidas sollte ihr Leben lang die treibende Kraft zu all ihren Handlungen bleiben" (Seite 108).

Das brachte ihr aber mehr und mehr Probleme ein. Familienmitglieder mieden und distanzierten sich von ihr. Ganz besonders diejenigen, die in fürstlichen Diensten standen, wie zum Beispiel ihr Bruder Carl.

Doch dann nahm das Leben eine Wendung: Theodor beschloß, nach Leipzig zu gehen. Kurfürst Wilhelm II. starb und Malwidas Vater kehrte - müde und krank - zur Familie zurück, die nach Frankfuhrt zog.

So trennten sich die Liebenden und Malwida nahm Theodor das Versprechen ab, dass er ehrlich zu ihr sein sollte, falls er eine andere Frau kennenlernen sollte.

1847, Malwida ist 31 Jahre, stirbt der Vater. Außer ein paar Kleinigkeiten ist kein Erbe vorhanden. Nichts, von dem man leben könnte - weder für die Töchter noch für die Söhne. Die Witwe hofft auf eine fragliche Pension. Während die Brüder die jungen Frauen verheiraten wollen, begehren Laura und Malwida auf. Malwida sucht sich lieber einen Broterwerb, was den Bruch mit den Brüdern zur Folge hat. Nach einigem Überlegen steht fest: Sie möchte Erzieherin werden. So kann sie auch die Mutter unterstützen.

Sie kam mit sozialistischen Kreisen zusammen, trat für Frauenemanzipation ein, unterstützte die Märzrevolution von 1848 und nahm als Zuschauerin am Vorparlament in der Frankfurter Paulskirche teil.

Und dann plötzlich mussten die Frauen wieder nach Detmold zurück. Das Geld reichte in Frankfurt nicht mehr zum Leben. Im Detmolder Pfarrhaus erfuhr Malwida dann auch, warum sie immer weniger Briefe von Theodor erhielt. Er hatte eine andere Liebe gefunden.

Nachdem sie in Detmold von der Gesellschaft geschnitten wurde, fuhr Malwida zu einer Freundin nach Berlin, unglücklich darüber, dass immer noch ihr Bruder über ihr Leben zu entscheiden hatte. In Berlin erlebte sie die Niederschlagung der Revolution mit, musste die Stadt verlassen und kam bei Theodors Großvater in Potsdam unter.

Ab 1850 studierte Malwida an der Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht, um Erzieherin zu werden. Auch hierfür brauchte sie wieder die Erlaubnis der Familie, was der 33-Jährigen wie eine Schmach erschien. Hier kam sie mit dem Ehepaar Johanna und Karl Friedrich Fröbel zusammen. An der Hochschule lernte sie nicht nur, sondern war bald selbst Lehrerin für andere junge Mädchen.

Als Malwida einen Antrag bekam, lehnte sie ab, weil die Familie dagegen war. Es war wie ein Zwiespalt: "Malwidas Geist, ihre Ideen und Überzeugungen waren modern und fortschrittlich, ihr innerer Mechanismus aber noch in den Vorstellungen ihrer Generation und ihrer Klasse befangen.

Hier lernte sie auch Carl Schurz - ein radikaldemokratischer Revolutionär - kennen, der mal seinen Eindruck über Malwida beschrieb:

"Sie sah zwar älter aus, als sie wirklich war, und die Natur hatte sie ihrem Aussehen nach nicht gerade begünstigt, aber sobald man mit ihr Freund war, vergaß man ihr Äußeres schnell. Das eifrige Interesse, mit dem sie alle Ereignisse verfolgte, ihre große Belesenheit und ihr Mut, sich auf dem politischen Felde zu behaupten, sprachen mich besonders an.

Ein fast ungestümer Enthusiasmus für alles Schöne und Edle beseelte sie, was sie zuweilen zu einer strengen Richterin über das Frivole machte. Dabei aber war ihr Wesen so einfach und anspruchslos, ihre Herzensgüte so unerschöpflich, daß jeder, der sie näher kennenlernte, nicht umhin kam, sie auf das höchste zu achten."

Im Frühjahr 1852 schloss die Frauenschule und Theodor Althaus, mit dem Malwida weiterhin befreundet blieb, starb am 2. April des Jahres. Den Jahreswechsel hatte sie an seinem Krankenbett verbracht.

Malwida ging nach Berlin, wo sie sich immer politischer betätigte. Sie nahm kein Blatt vor den Mund und berichtete auch nach Hamburg. Sie mochte den Gerüchten, die besagten, dass Briefpost stichprobenartig von den preußischen Polizeiorganen geöffnet und geprüft würden, nicht glauben. Doch bei der amtlichen Behörde gab es eine Akte über sie, die immer dicker wurde. Sie missachtete alle Warnungen von Freunden und Bekannten. Und wurde tatsächlich vorgeladen und einem Verhör unterzogen. Man riet ihr, die Stadt zu verlassen, um keinen weiteren Ärger zu bekommen. Nach einem Gespräch mit den engsten Freunden entschloss sie sich, nach England zu gehen.

Von nun an war sie Flüchtling, sobald sie an Bord war, schrieb sie einen Brief an die Familie:

"Diesmal gehe ich, ohne euch um Erlaubnis zu bitten. Ich brauche sie nicht mehr. Ich gehe als Flüchtling, als Verstoßene aus einer Heimat, die mich und mein Anliegen nicht verstehen will.

      Eure Tochter und Schwester Malwida."

In London traf sie Carl Schurz wieder und lernte unter anderen Gottfried und Johanna Kinkel, Therese Pulszky und Alexander Herzen kennen. Schon bald erzog sie mit mütterlicher Wärme die beiden Töchter Olga (1844–1912) und Natalie (1844–1936). Auch mit seinem Sohn Alexander Alexandrowitsch verstand sie sich gut.

Sie traf Richard Wagner, der schlecht gelaunt war, in Paris wieder, wohin sie fuhr, weil sie durch eine Meinungsverschiedenheit nicht mehr im Hause Herzens bleiben konnte. Über Wagner kam sie in Kontakt mit der Philosophie Arthur Schopenhauers, welche sie – in eigener Interpretation – für sich selbst übernahm.

Malwida lebte sich ein in Paris und sie fühlte sich hier wohl. Traurige Erinnerungen konnte sie vergessen und neue Eindrücke sammeln. Sie arbeitete, schrieb Artikel und Essays und war mittlerweile finanziell unabhängig. Doch dann kam ein Brief von Herzen: Die Mädchen würden sie vermissen, sie möchte doch bitte nach London zurückkommen. Bei Natalie merkte Malwida, dass sie nicht mehr viel ausrichten konnte, aber für Olga konnte sie wieder die Mutterrolle übernehmen. Wegen der Gesundheit zog es Malwida wieder in den Süden und Herzen erlaubte, dass Olga mit ihr reisen durfte. Die beiden hielten sich 1860/61 in Paris auf. Dann vertrug Malwida auch dessen Witterung nicht mehr. Zusammen mit Olga und nun auch Natalie ging es nach Italien. Schon bald sollte Natalie wieder nach Hause. Sie war alt genug, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Malwida akzeptierte das, aber sie war der tiefen Überzeugung,

"... daß keineswegs wie bisher der Gedanke an die Ehe den jungen Gemütern um jeden Preis eingepflanzt und als einziges Lebensziel für die Frau hingestellt werden muß! Diese unheilvolle Ansicht, die die meisten Mütter noch vertreten, muß unbedingt aufgehoben werden. Das Mädchen muß so gut wie der Knabe von klein auf seine Fähigkeiten entwickeln können, danach streben dürfen, aus sich ein möglichst vollkommenes und umfassendes Wesen zu machen. Wieviel häßliche Täuschung und auch Selbsttäuschung, wie sie jetzt oft den jungen Mädchen gelehrt werden, würden damit wegfallen. Wieviel Unglück als Folge konventionell geschlossener Ehen würde vermieden werden! Kommt dem entwickelten Charakter, dem gereiften, in sich ruhenden Wesen, die wahre Liebe als Krone des Lebens hinzu - nun wohl dem Glücklichen! Eine Ehe aber, in das ein Mädchen aus Vorurteil und schierem Brauchtum gestürzt wird, kommt der Prostitution gleich."

1869 erschien anonym und erfolgreich der erste Band ihrer persönlichen Memoiren, zunächst auf französisch; nach einer erweiterten Übersetzung erschienen 1875 und 1876 auch ein zweiter und dritter Band.

Nach 18-jähriger Freundschaft verlor Malwida Alexander Herzen an den Tod. Auf ihre Weise hatte sie den Mann geliebt. Er "aber hat auf mehr als vierhundert Druckseiten seiner Lebenserinnerungen Malwida von Meysenbug nicht ein einziges Mal erwähnt"

Olga heiratete und ging mit ihrem Mann nach Paris. So war Malwida nun wieder alleine. Ganz passend kam da eine Einladung von Richard Wagner und so zog sie 1873 nach Bayreuth. Ein Jahr später, Malwida war mittlerweile 58 Jahre alt, musste sie der Gesundheit wegen nach Italien. Sie lud oft junge Künstler und Schriftsteller zu sich ein, so etwa Nietzsche (dessen Gönnerin und Freundin sie wurde und blieb) und Paul Rée 1876/1877 nach Sorrent. Auch Lou von Salomé wurde von ihr und Rée mit Nietzsche bekanntgemacht.

Malwida hat inzwischen das "hohe Alter" von 63 Jahren erreicht. Was sie erreichen wollte, als sie ihr Elternhaus verließ, hat sie geschafft:

"Selbständigkeit, Bewährung, Unabhängigkeit, und damit das Wunder einer Frau ihrer Zeit. Seit zwanzig Jahren lebte sie von den Früchten ihrer Feder, seit drei Jahren von den reichlich fließenden Tantiemen ihrer ,Memoiren einer Idealistin' und seit April 1879 von ihren bei Reißner in Leipzig erschienenen ,Stimmungsbilder'." 

Sie brachte sich Ludwig Sigismund Ruhl in Kassel in Erinnerung und ein Briefwechsel begann, der bis zu Ruhls Tod anhalten sollte.

Die Bekanntschaft mit der erst 20jährigen Lou von Salomé ist dagegen nicht von Sympathie getragen. Malwida war zwar eine Verfechterin geistiger Freiheit, dennoch war sie in den Grenzen konventioneller Erziehung aufgewachsen, deren übliche Schranken Lou verachtete.

1885 erschien, wieder bei Reißner in Leipzig, ihr Roman "Phädra" in drei Teilen. Ebenfalls wieder mit Erfolg.

In Alexander von Warsberg hatte Malwida einen Freund gefunden. Für sie war die Verbindung mit ihm eine Freundschaft, "die wie ein heller Lichtschein auf meinen Weg fällt, der sich dem letzten Ziele nähert". - Warsberg starb am 28. Mai 1889.

In diesem Jahr lernte Malwida den 50 Jahre jüngeren Romain Rolland kennen, der ihr letzter Vertrauter wurde. Sie ermöglichte dem jungen Mann, sein Klavierspiel zu üben. So trafen sie sich wöchentlich mehrmals und freundeten sich an. Rolland drückte es später so aus: "Der Freund, der dich versteht, erschafft dich. In diesem Sinne bin ich von Malwida erschaffen worden." 

Leider war er nicht anwesend, als Malwina ihren letzten Weg ging.

Malwida von Meysenbug starb am 26. April 1903 in Rom.


Montag, 12. Mai 2025

Daphne du Maurier: Die Frauen von Cornwall - Eine Familiensaga (1931

Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich
Vollständige Neuübersetzung
Insel Verlag, 2025


Buchinfo

Janet ist mit dem Werftbesitzer Thomas Coombe verheiratet, sie leben mit ihren Kindern scheinbar glücklich in dem beschaulichen kornischen Hafenstädtchen Plyn. Doch Janet ist ruhelos – immer wieder zieht es sie an die Klippen, und sie träumt davon, ein Mann und frei zu sein und um die Welt zu segeln. Diesen Drang und die unstillbare Liebe zum Meer gibt sie an ihren Sohn Joseph weiter – und als er, wild und ungebärdig, auf einem Schiff anheuert und sein Glück in der Ferne sucht, ist es, als würden ihre Träume wahr. Doch die Rivalität zwischen Joseph und seinem Bruder Philip droht die Familie zu zerreißen.

Die Geschichte führt uns tief in die inneren Welten ihrer Protagonistinnen und lässt das raue, romantische Cornwall lebendig werden – eine dramatische Familiensaga über Leidenschaft, dunkle Geheimnisse, Intrigen und eine Liebe, die stärker ist als der Tod.


Buchbeginn

Janet Coombe stand auf dem Hügel über Plyn und blickte hinunter auf den Hafen. Obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel strahlte, war das Städtchen noch in frühmorgendlichen Nebel gehüllt. Wie eine dünne, helle Decke lag er über Plyn und verlieh dem Ort etwas leise Unwirkliches, als würde alles von geisterhaften Fingern berührt. Die Flut zog sich zurück, das Wasser floss ruhig und geräuschlos aus dem Hafen ab und wurde eins mit dem Meer, glatt und unbewegt. Keine versprengte Wolke, kein Luftzug störte die friedvolle Schönheit des stillen, hellen Himmels.

 

Sonntag, 11. Mai 2025

Ethel Lilian Voynich: The Gadfly

Ethel Lilian Voynich (11.05.1864 - 28.07.1960) war in der Lage, durch ein kleines Erbe Klavier und Komposition zu studieren. Für längere Zeit war sie musikalisch tätig. Ihr erstes Buch - "The Gadfly" - erschien erst 1897. Es ist das einzige Werk, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Als "Die Stechfliege"
1952 als Roman-Zeitung (Nr. 33) aus dem Verlag Volk und Welt (DDR)
1975 in der Edition Bergh (Schweiz)
1979 bei Rowohlt

Als "Der Stachel"

1957 Bukarest, Jugendverlag

Als "Der Sohn des Kardinals"
1957 / 1960 / 1968 / 1983 im Verlag Neues Leben (DDR)
1968 / 1983 in einer Ausgabe des Buchclub 65
2005 / 2018 in der Reihe "Spannend erzählt" (auch als E-Book)


Buchinfo
Als sich im 19. Jahrhundert die Bewegung "Junges Italien" bildet, begeistert sich auch der Student Arthur Burton für die Idee einer freien Republik und glaubt, seinen geliebten Lehrer Pater Montanelli dafür gewinnen zu können. Doch er wird verraten. Dreizehn Jahre später: Ein geheimnisvoller Mann stößt zu der Gruppe der Rebellen.

Samstag, 10. Mai 2025

Eliza Orzeszkowa

Eliza Orzeszkowa wurde am 6. Juni 1841 in Milkowszczyzna b. Grodno (Polen) geboren.

Sie war die Tochter des adligen Gutsbesitzers Pawlowski. Erzogen wurde sie zu Hause, von 1852-57 dann in einem Warschauer Klosterinternat. 1858 heiratete sie den Gutsbesitzer Piotr Orzeszko, der infolge des Aufstandes von 1863 nach Sibirien verbannt wurde. Mit ihm lebte sie auf einem Landgut in Polesien. Die Ehe endet unglücklich und wird 1869 geschieden; Eliza lebt dann sehr gesellig auf Gut Ludwinow und gründete eine Dorfschule. Von 1879-1882 arbeitete sie für einen Verlag in Wilna. 1894 heiratete sie ein zweites Mal, doch der Mann starb kurz darauf, sie selbst wurde herzkrank.

Am 18. Mai 1910 starb Eliza Orzeszkowa in Grodno.



Ab 1864 führte sie naturwissenschaftliche Studien durch. Nach der Scheidung ging es in ihren Romanen um die Unterdrückung intellektueller Frauen durch verständnislose Männer.

Henry Thomas Buckle, Herbert Spencer und John Stuart Mill beeinflussten Eliza Orzeszkowas Überzeugung von der „Nützlichkeit“ der Literatur. Diese erläuterte sie 1866 in dem Artikel „Kilka uwag nad Powie´scia“ (Einige Bemerkungen über den Roman) und 1873 in den „Listy o literaturze“ (Briefe über Literatur).

Sie schrieb gegen feudale Anachronismen, die Unfreiheit der Frauen und die Diskriminierung ganzer sozialer Gruppen. Und sie schrieb den ersten Frauenroman der polnischen Literatur: „Marta“ (1873).

Allgemeine Anerkennung bekam sie dann aber erst 1874 mit „Eli Makower“, einer Erzählung, die in die Tiefen der polnisch-jüdischen Beziehungen dringt und auch künstlerisch gelungen ist.

Bisher prägten ihre Bücher die Hoffnung auf Erneuerung durch die bürgerliche Intelligenz. Später änderte sich das in Skepsis gegenüber der industriellen Entwicklung bis zur Hinwendung zu national-geschichtlichen Themen.

Ihr „Brief an die deutschen Frauen“ von 1900 gilt als Meilenstein der polnischen Frauengeschichte.

Ihr Werk ist vom Gedanken tiefster Humanität durchdrungen.

Eliza Orzeszkowa: Marta (1873)

Mit dem kleinen Roman „Marta“ gelang der polnischen Schriftstellerin Eliza Orzeszkowa (1841–1910) vor über hundert Jahren der Durchbruch zu weltweiter literarischer Anerkennung. Die Geschichte der Marta Swicka, die, aus „gutem Hause“ stammend, in der Wärme wohlbehüteter Verhältnisse aufgewachsen, sich plötzlich gezwungen sieht, für sich und ihr Kind einen ermüdenden Kampf um die nackte Existenz zu führen, nahm die Autorin zum Anlass, den Finger auf die unhaltbare Rechtlosigkeit der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft zu legen. Mit dem unbestechlichen Blick des Realisten, mit dem sie sich in ihren späteren Werken, wie der „Hexe“ (1885) oder dem „Njemenfischer“ (1888), liebevoll auch der Gestalten des einfachen Volkes annimmt, unterzieht sie die vom Mann bestimmten Konventionen, Klischees und Denkgewohnheiten einer spöttischen Kritik und mißt diese an den hohen Idealen des bürgerlichen Humanismus. Die damals knapp dreißigjährige Schriftstellerin, die heute neben Boleslaw Prus und Henryk Sienkiewicz zu den Begründern des Realismus in der polnischen Prosa zählt, konnte sich dabei auf eigene bittere Erfahrungen berufen, die sie sammeln musste, ehe sie in ihrer Heimat als bedeutendste Autorin des 19. Jahrhunderts gefeiert wurde.

Verlag der Nation, 1990
Übertragen von Peter Ball
Nachwort: Dietrich Scholze


Buchbeginn
Das Leben der Frau ist eine ewig brennende Liebe - sagen die einen.
Das Leben der Frauen ist Hingabe - sagen die anderen.
Das Leben der Frau ist Mutterschaft - rufen die dritten.
Das Leben der Frau ist ein Spiel - scherzen noch andere.
Die Tugend der Frau ist blindes Vertrauen - sagen einmütig im Chor alle zusammen.
Die Frauen glauben blind; sie lieben, opfern sich auf, erziehen die Kinder, amüsieren sich... sie erfüllen also alles, was die Welt von ihnen erwartet, und dennoch sieht sie die Welt ein wenig Scheel an, von Zeit zu Zeit wendet sie sich an die Frauen in Form eines Vorwurfs und einer Mahnung:
"Schlecht steht es um euch!"


Zitat
Kürzlich gab einer der in unserem Lande angesehensten Schriftsteller (Herr Jan Zachariasiewicz in dem Roman "Albina") der Öffentlichkeit kund, daß die Frauen deshalb physisch und moralisch kranken, weil ihnen die große Liebe mangelt (natürlich die Liebe zu Männern).
Himmel! Welch eine ungeheure Ungerechtigkeit!
Möge der kleine, rosige Gott Eros uns zu Hilfe herbeifliegen und bezeugen, daß unser ganzes Leben nichts anderes ist als ein Weihrauchgefäß, das zu seinen Ehren unaufhörlich glüht!


Kaum sind wir den Kinderschuhen entwachsen, hören wir bereits, daß es unsere Bestimmung sei, einen der Herren der Schöpfung zu lieben...

 

Tove Ditlevsen

Schreiben heißt, sich selbst auszuliefern, sonst ist es keine Kunst. Man muss das verschleiern, aber letzten Endes schreibt man doch immer über sich selbst.

Tove Ditlevsen, Kindheit


Tove Ditlevsen (14.12.1917 - 07.03.1976) entstammte aus dem Kopenhagener Arbeitermilieu des Stadtteils Vesterbro.

Sie ging mit vierzehn Jahren von der Schule ab, verließ mit siebzehn ihr Elternhaus und arbeitete als Dienstmädchen und Bürogehilfin. Schon während der Schulzeit schrieb sie Gedichte, für damalige Zeiten recht erotische Gedichte.

Ihr erster Ehemann war der Schriftsteller und Journalist Viggo Frederik Møller und er war dreißig Jahre älter als sie. Er veröffentlichte 1937 eines ihrer Gedichte in seiner Literaturzeitschrift Wilder Weizen. Im Jahr ihrer Hochzeit (1939) debütierte sie mit der Gedichtsammlung Pigesind (Mädchensinn).

Später folgten drei weitere Ehemänner: Ebbe Munk (1916–1970), mit dem sie eine Tochter hatte: Helle Munk (1943–2008); Carl T. Ryberg (1945–1950), mit dem sie einen Sohn hatte: Michael Ryberg (1946–1999); und Victor Andreasen (1951–1976), mit dem sie einen Sohn hatte: Peter Andreasen (geb. 1954).

Durch Carl T. Ryberg, Arzt von Beruf, geriet sie in eine der verhängnisvollsten Perioden ihres Lebens. Bei einer Abtreibung gab er ihr ein schmerzstillendes Mittel, von dem sie dann jahrelang abhängig war. Ihr vierter Ehemann Peter Andreasen half ihr, davon loszukommen.

Ihre Romane sind zumeist autobiografisch. Sie schreibt über ihre Jugend im Arbeitermilieu, das Scheitern ihrer Ehen, persönliche Krisen wie Selbstmordgedanken, Sucht, Entzug und Schwangerschaftsabbrüche.

Tove Ditlevsen schreibt über die Gefühlswelt und Schicksale von Kindern, Mädchen und jungen Frauen, wobei es fast immer um ihre eigenen seelischen Konflikte ihrer Kindheit und Jugend geht. Über ihre Kindheit erzählt sie hauptsächlich Negatives. Von der Mutter fühlt sie sich ungeliebt und sie dachte immer, sie sei ein ungewolltes Kind. Das löst Ängste aus.

Mein Verhältnis zu ihr ist eng, qualvoll und unsicher, und nach Zeichen von Liebe muss ich immer suchen. Alles, was ich tue, dient dazu, ihr zu gefallen, sie zum Lächeln zu bringen, ihren Zorn abzuwenden. Das ist eine mühsame Arbeit, weil ich gleichzeitig so viele Dinge vor ihr verbergen muss.

Aus: Kindheit

Als Erwachsene Frau focht sie einen inneren Kampf zwischen ihrer konventionellen Rolle als Ehefrau und Mutter und ihrem starken Wunsch zum Schreiben aus. Flucht vor dem Abwasch nannte sie es mal scherzhaft. Jedoch das Schreiben war noch mehr eine Flucht vor dem Leben.

Sie schrieb so offensichtlich über ihr Leben und ihre Beziehungen, dass sie später dafür harsche Kritik einstecken musste. Andererseits war sie mit ihren Erzählungen, Romanen und Gedichten immer eine beliebte Schriftstellerin. Dazu trug wohl auch bei, dass sie geschickt mit den Medien umgehen konnte. Unter anderem war sie die "Briefkastentante" von Dänemarks bekanntesten Illustrierten.

Die norwegische Liedermacherin Kari Bremnes produzierte 1987 ihre erste CD mit Vertonungen von Ditlevsens Gedichten.

Am 8. März 1976 fand man ihre Leiche; Tove Ditlevsen starb durch eine Überdosis Schlaftabletten. Es war für sie der letzte Ausweg aus einer unerträglich gewordenen Wirklichkeit.

Ihre letzte Ruhe fand sie auf dem Vestre Kirkegård in Kopenhagen neben ihrem Sohn Michael Ryberg, der 1999 bei einem Autounfall starb.