Montag, 18. August 2025

Alice M. Ekert-Rotholz: Wo Tränen verboten sind

Buchinfo

Shanghai, Bangkok, Tokio, Paris und Trondheim sind die Schauplätze dieses faszinierenden Romans.

Die Familie des norwegischen Konsuls Wergeland ist durch Blutsbande der Welt des Westens wie der des Fernen Ostens verbunden, seine drei schönen Töchter stammen von drei verschiedenen Müttern: einer Französin, einer Norwegerin und einer Chinesin. Durch einen verhängnisvollen Irrtum gerät diese Familie in der Zeit des zweiten Weltkriegs in die Netze des japanischen Geheimdienstes. Und Baron Matsubara, ursprünglich ein Freund des Konsuls und seiner drei Töchter, wird zu ihrem erbitterten Feind.


Leseprobe

Baron Matsubara legte sich zu einem erquickenden Schlaf auf seine Matte mit der harten Kissenrolle. Er war einer der wenigen Gäste in Schanghai, die in diesen Tagen gut schliefen. In einem Hotelzimmer des Cathay fuhr Mailin Wergeland um diese Stunde aus einem unruhigen Traum auf. Die Schlaftablette, die sie sich von der stummen und nervösen Astrid nach deren Heimkehr vom Dinner in der "Weißen Chrysantheme" hatte geben lassen, hatte ihr nur minutenweise eine Art Fieberschlaf gebracht. Mailin knipste ihre Bettlampe an und las noch einmal das Schreiben eines unbekannten Rechtsanwalts und Notars in der Chinesenstadt von Schanghai.

 

Samstag, 16. August 2025

Alice M. Ekert-Rotholz: Reis aus Silberschalen

 Buchinfo

Die vielgelesene Autorin schildert hier fesselnd die Atmosphäre des Fernen Ostens. Aus Kriegs- und Nachkriegsnöten zieht eine Hamburger Kaufmannsfrau mit den Kindern zu ihrem Mann nach Thailand. Die hanseatische Familie sieht sich im Land des Lächelns zuerst ungewöhnlichen Schwierigkeiten gegenüber. Begriffe, die für sie selbstverständlich waren – wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit –, haben dort keinerlei Bedeutung. Aber erregend wie die exotische Welt, in die die Gäste eintreten, ist der Kreis von Menschen, denen sie in Ceylon, Siam, Hongkong begegnen. Der Schicksalsweg der Familie führt sie durch Paläste und Spelunken, Häfen und Märkte, Privatgemächer und Büros. Märchenfürsten und asiatische Abenteuerinnen kreuzen ihn. Aus den Verlockungen des Wunderlandes kehrt die Familie, reich an Erfahrungen, in die Heimat zurück.


Buchbeginn

Als Petersen im Hafen anlangte, um Martha und die Kinder zu empfangen, war er nervös und ermüdet. Der Schweiß rann ihm in Strömen in den frisch gestärkten Hemdkragen. Im Hinterkopf pochte ihm ein glühender Hammer, der fast den Tropenhelm sprengte. Bangkok war ihm noch niemals so heiß vorgekommen; die Riesenstadt am Menamfluß brodelte in der Nachmittagsglut. Petersen hätte sich gern in seinem elektrisch gekühlten Büro von dem alten chinesischen Boy einen Eiskaffee servieren lassen. Er hielt an geeisten Getränken fest, obgleich seine chinesischen Kunden ihm versicherten, daß heißer grüner Tee das Beste gegen die Tropenhitze wäre. Petersen war Hamburger. Er bewahrte daher auch in ungewohnter Umgebung alle seine Gewohnheiten ... Wenn der Hamburger Versuchssommer sich einmal tropische Ausschreitungen erlaubte, hatte Petersen mit einem Eiskaffee im Alsterpavillon gesessen. Aber Chinesen wollten immer alles besser wissen.

Alice M. Ekert-Rotholz: SIAM hinter der Bambuswand - Ein ostasiatisches Reisebuch

Leseprobe

Joseph war ein Chinese mit portugiesischem Einschlag und hatte von seinen chinesischen Vorfahren ein starkes Familiengefühl geerbt. Nach einigen Tagen brachte er seine Brüder in unser Dienstbotenhaus. Die Brüder brachten Frauen und die Frauen brachten die Kinder. Das ist chinesische Tradition, wurde mir gesagt. Die Brüder halfen unserem Joseph beim Nichtstun, bezogen mit ihren Familien ein von Joseph bestimmtes "Reisegeld" und stahlen alle kleineren Gegenstände, die Joseph übersehen hatte. Als der sechste Helfer auf der Bildfläche erschienen war, entließen wir "Joseph und seine Brüder". Sie wurden danach eine Zeitlang Bettler, was in Siam ein einträglicher und ehrenwerter Beruf ist.

 

Freitag, 15. August 2025

Margaret Drabble: Die Elite nach dem Fest

Leseprobe

Und Alix für ihren Teil wollte Brian nicht gerne zur alten Brigade zählen. Sie betrachtete ihn lieber als Symbol der neuen, klassenlosen Gesellschaft, von der sie geträumt hatte. Aber war es wirklich so? War das möglich? Brian hatte inzwischen graue Haare und litt im Winter unter Arthritis. Vielleicht war er zu alt für den neuen Aufbruch. Vielleicht war er eher ein Flüchtling, ein alternder Flüchtling, der gerade noch rechtzeitig den allmählich verfallenden Straßen Northams entronnen war. 

Rowohlt Verlag
rororo neue frau

 

Margaret Drabble: Poträt einer Tüchtigen

Buchinfo

Margaret Drabble, die 1939 in Sheffield geboren ist und heute mit ihren drei Kindern in London lebt, war Schauspielerin, bevor sie zu schreiben begann. Von ihren früheren Romanen, die ihr den Ruf einbrachten, die geistreichste lebende Erzählerin Englands zu sein, erschien 1978 in dieser Reihe "Gold unterm Sand" (rororo neue frau 4262) mit bemerkenswertem Erfolg.

Kate Armstrong ist der Inbegriff einer tüchtigen Frau: eine engagierte Journalistin, die mit Anfang Vierzig ihrem eigenen Engagement und den Wohltaten der Emanzipation nicht mehr automatisch traut - aber virtuos zwischen Berufsterminen und den Speisewünschen anspruchsvoller Freunde balanciert; die das progressive Geschwätz ihrer gleichaltrigen Bekannten zunehmend tragikomisch findet und sich lieber Rat sucht bei ihren heranwachsenden Kindern; die beim Knopfannähen politische Gespräche durchsteht und auf dem Heimweg im Taxi bereits die Erbsen fürs Abendessen auspult: wäre Pippi Langstrumpf je erwachsen geworden, sie hieße Kate Armstrong.


Rowohlt Taschenbuch, 1982
rororo neue frau 4262 

Donnerstag, 14. August 2025

Wilhelmine Siefkes: Kasjen und Amke - Ein Moorkolonistenroman (1952)

Buchinfo

Die einfache Liebesgeschichte eines ungleichen Paares, des Knechtes Kasjen und der Magd Amke, die sich auf einem Bauernhof in der Marsch begegnen und ins Moor ziehen, ein Bild ostfriesischen Lebens aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg.


Buchbeginn

Es war in den neunziger Jahren. Und es war an einem Donnerstag nach Ostern, einem der Tage, an denen in Ostfriesland der Dienstbotenwechsel vor sich zu gehen pflegte.
Kasjen Kasjens ging zum drittenmal den langen Pfad von der Tür bis an die Hecke, die das Gemüseland vor dem Hause von der Straße abschloß. Er stellte sich neben die Kiste mit seinen Habseligkeiten, die hatte Dirk Kasjens, sein Vater, ihm schon früh mit hinausgetragen.

Verlag Schuster, Leer, 1999

 

Mittwoch, 13. August 2025

Han Suyin: Alle Herrlichkeit auf Erden

Buchinfo

Alle Herrlichkeit auf Erden erleben der englische Journalist Mark Elliot und die junge eurasische Ärztin Han Suyin. Und das inmitten der elementarsten Umwälzung, die China während seiner Geschichte erlebt, - in der von aufpeitschender Lebenslust und tiefster Depression, geprägten, erregend brodelnden Atmosphäre Hongkongs, dem letzten Zufluchtsort vor der siegreichen Armee Mao Tse-tungs.
Vor dieser Kulisse spielt die Geschichte der kurzen beseligenden Liebe zweier Menschen. Später wird Han Suyin sie niederschreiben, um das Gespräch mit dem Geliebten fortzusetzen, um ihm wieder nah zu sein und nun die Monate der Verzauberung noch einmal bis zur Neige auszukosten. Ihre Erzählung, die sie in Tagebuchform ganz verhalten beginnt, steigert sich zu einem der innigsten und ergreifendsten Liebesromane. Alles schließt diese intime Zwiesprache ein, was das Schicksal dem Menschen geben kann: Leidenschaft, Sehnsucht, Trennung und Gefahr, Stunden des Rausches, der Selbstvergessenheit und der Entsagung, des Glücks und der Verlorenheit. Rückhaltlos träumen Mark und Suyin ihren "köstlichen Traum von aller Herrlichkeit auf Erden".


Buchbeginn

Auszug aus China
März

Mrs. Parrisch zupft sich ihr neues Seidenkleid über den Hüften glatt und äußert sich anerkennend. "Sie werden schlanker, zweifellos", sagt Mrs. Thrale und häkelt weiter. "Das verdankt sie Ihnen, Doktorin."

"Um so etwas wie Sie, Doktorin, habe ich Gott schon immer gebeten", nickt Helen Parrisch und dreht sich vor dem hohen Spiegel, um ihren Rücken betrachten zu können. Die drei Wochen Diät haben wahre Wunder gewirkt. Ihr Mann, Alf, kommt von der Mission in Hankau und kann jeden Tag in Hongkong eintreffen. Die Kommunisten rücken von Osten und Norden heran. Jede Stadt fällt ihnen widerstandslos zu, ganze Armeen ergeben sich samt ihren Generälen. Auch Hankau wird fallen

Übersetzt von Isabella Nadolny 


Sonntag, 10. August 2025

Carolina Maria de Jesus: Tagebuch der Armut / Das Haus aus Stein

Buchinfo

Carolina Maria de Jesus (1914 - 1977), brasilianische N*, seit 1937 in Sao Paulo, landete nach der Geburt ihres ersten Kindes in der Favela, "dem Ort, wohin man nicht nur Dinge, sondern auch Menschen wirft".

"Ich kam nach meinen Versuchen, etwas im Abfall zu finden, zu Hause an und hatte nichts zu essen. Ich lehnte mich innerlich auf und schrieb." Der Journalist Audálio Dantas entdeckte die Aufzeichnungen, "eine Revolution in einer Bretterbude. Die Revolution wurde zum Buch und bekam den Titel ,Tagebuch der Armut'". Die erste Auflage erschien 1960 in Sao Paulo und war innerhalb von drei Tagen vergriffen, es folgten aufsehenerregende Ausgaben in aller Welt.

Das Buch, dessen Erfolg es der Autorin ermöglichte, die Favela nach mehr als fünfzehn Jahren zu verlassen, "ist ein Schrei des Protestes. Ein Dokument der tiefsten Verzweiflung. Es ist aus dem Abfall hervorgegangen, wie seine Autorin, um einen Teil des brasilianischen Lebens zu offenbaren. Mit aller Kraft, die ihm innewohnt" (Audálio Dantas).


Leseprobe

Ich kann meiner lieben verstorbenen Mutter nichts nachsagen. Sie war sehr gut. Ihrem Wunsche nach sollte ich Lehrerin werden. Die Lebensumstände haben sie daran gehindert, ihren Traum zu verwirklichen. Aber sie hat meinen Charakter gebildet, indem sie mich lehrte, die Demütigen und die Armen zu lieben. Deshalb tun mir die Bewohner der Favela leid. Obgleich es hier Leute gibt, die verachtet werden müßten, Leute, die wirklich böswillig sind. Heute nacht haben Dona Amelia und ihr Freund sich gestritten. Sie schrie, daß er nur wegen des Geldes, das sie ihm gibt, mit ihr zusammen lebe. Man hörte nur die Stimme der Dona Amelia, die an dem Streit Freude zu haben schien. Sie hat mehrere Kinder in die Welt gesetzt. Sie hat sie alle verteilt. Sie hat zwei erwachsene Söhne, die sie nicht im Hause haben will. Sie setzt ihre Söhne zurück und zieht die Männer vor. Der Mann tritt durch die Tür ein. Der Sohn ist die Wurzel des Herzens.

Reclams Universal-Bibliothek Band 299
2. Auflage 1979


Buchinfo
In "Das Haus aus Stein" beschreibt Carolina Madia de Jesus ihr Leben nach Erscheinen des "Tagebuchs der Armut", dem Tagebuch aus fünf Jahren Leben in einem Elendsviertel vor den Toren Sao Paulos. Das Aschenputtel Brasiliens, gleichsam zu einem Konsumprodukt geworden, ist plötzlich weltberühmt. Sie wird interviewt und fotografiert, die Kritiker verleihen ihr Preise, die Reichen laden sie zu Tisch, und verschiedene Präsidenten empfangen sie. Sie verläßt die Favela und lernt die Welt der "Reichen" kennen. Mit "Reichen" meint sie nicht die wirklich Reichen, von ihrem Standpunkt aus sind alle reich, die in einem Steinhaus leben. Unter gewissen Gesichtspunkten ist "Das Haus aus Stein" ein noch fesselnderes Buch, weil sich darin ein wenig Freude findet, der Glanz der neuentdeckten Welt, das Glück des vollen Magens, die Ratlosigkeit vor ungewohnten Dingen und eine bittere Feststellung: Auch in den Steinhäusern gibt es Elend in den verschiedensten Formen.
Dann vergingen die Jahre. Im Nachwort wird geschildert, wie sie in die Favela zurückkehrt und dort 1977 stirbt. Keiner erinnerte sich mehr an die Frau, die geschrieben hatte: "Der Hunger ist das Dynamit des menschlichen Körpers."

Buchbeginn
Eines Tages - es war ein Nachmittag im April 1958 - ging ich in die Favela do Canindé und entdeckte eine Revolution in einer Bretterbude; die Aufzeichnungen der N* Carolina Maria de Jesus. Die Revolution wurde zum Buch und bekam den Titel "Tagebuch der Armut".
Jetzt muß ich von neuen Aufzeichnungen derselben N* sprechen. Sie ist aus der Bretterbude herausgekommen und hat ein Traumhaus bezogen - ein Haus aus Stein. Sie ist unsere Nachbarin, hier, wo sie mit jenen Augen um sich blickt, die daran gewöhnt waren, die Favela zu sehen, alles zu beobachten und aufzuschreiben: das Große, Schöne und Elende dieser Seite des Lebens.

Wagner Verlag


 

Ursula Ullrich: Am Abend sind die Schatten lang

Erzählungen
Union Verlag Berlin
1. Auflage 1987
ISBN: 3372000919


Buchinfo

Es kommt vor, daß Menschen einander nicht ihr wirkliches Leben erzählen, sondern Geschichten, mit denen sie es besser zu ertragen glauben. Die Menschen in diesen sechs Erzählungen lernten, ihr Leben so zu sehen, wie es eben ist. Sie lernten, mit Problemen zu Rande zu kommen, Auswege aus der Ausweglosigkeit zu finden, scheinbar Unannehmbares anzunehmen.

Ursula Ullrich, 1932 in Dresden geboren, erzählt Lebensgeschichten einfühlsam und mit einem feinen Sinn für Humor; sie wirbt um Verständnis für menschliche Eigenheiten und Verletzbarkeiten. Sie beschreibt, wie diejenigen, die heute fast ausnahmslos im achten Lebensjahrzehnt stehen, gelebt haben, oft viel zu gehorsam und schicksalergeben, jedoch mit einem untrüglichen Gefühl für Menschenwürde. Sie erzählt von Konflikten zwischen den Generationen, aber auch vom achtungsvollen Umgang zwischen Alten und Jungen; sie entdeckt Ungewöhnliches in alltäglichen Lebensläufen, und sie beschönigt die Bitterkeit mancher Erfahrung nicht, auch nicht die Leere, die der Tod hinterläßt. Dennoch sehen nicht alle Menschen, um die es in den Erzählungen geht, das Leben nur von seinem Ende her. Neben den Verzagenden gibt es die Mutigen. Mut gehört zum Wandeln von Lebensansichten, und Mut gehört auch dazu, mit über siebzig Jahren noch eine Ehe zu schließen, wie es in der Titelerzählung geschieht


Buchbeginn

Das Gespann

Hermann sitzt am Küchentisch und liest die Zeitung. Vor dreißig Jahren hat er sie noch weit von sich strecken müssen und gefürchtet, daß seine Arme eines Tages nicht mehr ausreichen könnten, die verschwimmenden Buchstaben in den Schärfebereich zu rücken. Jetzt wundert er sich, wie gut er sehen kann, wenn er das Blatt dicht vor die Augen hält. Hermann liest die Zeitung gründlich und fängt auch nicht von hinten zu lesen an, dort, wo die Lokalnachrichten stehen. Bloß einen einzigen Blick wirft er auf die letzte Seite. Wenn er einen bekannten Namen in einem der schwarzgerandeten Felder entdeckt, schüttelt er halb bedauernd, halb mißbilligend den Kopf und ruft seiner am Herd hantierenden Frau zu: "Hulda, denk ner, 's in widder aanergestorbn, dr Römersch Franz. Naanaa, wer hätt dös gedacht, aß der siech emol sue bezeiten drrahmachen tutt!" 

Carla Guelfenbein: Der Rest ist Schweigen

Buchinfo

Das Wort trifft den kleinen Tommy wie ein Schlag, als er bei einem Familienfest unter dem Tisch hockt und lauscht: Selbstmord. Seine geliebte Mutter hat ihn freiwillig verlassen. Während der zarte Junge sich auf die Suche nach der verschwiegenen Wahrheit macht, ringen sein Vater, der arrivierte Chirurg, und dessen zweite Frau Alma ihrerseits mit all dem Unsagbaren, Ungesagten, an dem sie fast zu ersticken drohen. Wie Planeten mit einem heißen Kern aus Sehnsucht kreisen Tommy, Juan und Alma umeinander und bleiben sich auf ihren Umlaufbahnen doch fern. Erst als das Leben brutal dazwischenfährt, scheint so etwas wie Nähe wieder möglich – doch der Preis ist hoch.

Clara Guelfenbein macht ihren Figuren ein Geschenk: sie lässt sie reden, von sich und denen, die sie lieben. In wechselnden Stimmen entfaltet sich so das Drama einer modernen Familie – bestürzend in seiner Unausweichlichkeit, aber auch voller Zärtlichkeit und Hoffnung.

»Für dieses Buch brauchen Sie viele Taschentücher, hat ein Kritiker gesagt. Bei mir ging es ohne, aber genau das macht dieses Buch so wunderbar. Es ist traurig, aber nie rührselig.« Christine Westermann


Buchbeginn

Wörter sind manchmal wie Pfeile. Fliegen hin und her, verletzen und töten, genau wie im Krieg. Deshalb nehme ich die Gespräche von Erwachsenen gern auf. Besonders wenn jeder von sich redet und plötzlich wie durch einen Zaubertrick alle auf einmal loslachen.


S. Fischer Verlag, 2010
Aus dem Spanischen von Svenja Becker

 

Elizabeth Jolley: Der Mann im Brunnen

Laut Wikipedia wurden die Werke von Elizabeth Jolley (4.6.1923 - 13.2.2007) in zahlreiche andere Sprachen übersetzt, u. a. ins Spanische, Deutsche, Niederländische, Französische und Griechische.

Warum es nur vier Titel ins Deutsche geschafft haben, ist mir schleierhaft. Ich bin ja keine Literaturkritikerin, aber "Der Mann im Brunnen" muss ein Meisterwerk sein. 

Aus dem Englischen von Franz Schrapfeneder

Glücklicherweise habe ich die ins Deutsche übersetzten Bücher von ihr antiquarisch bekommen. 


Klappentext

Die ältliche Hester Harper holt ein junges Mädchen in ihr eigenes Leben im australischen Outback. Als Katherine eines Nachts jedoch einen Mann mit dem Auto anfährt, scheint die Freundschaft und friedliche Idylle der beiden Frauen plötzlich gefährdet zu sein. Heser läßt das Opfer im Brunnen verschwinden und setzt damit ein Meer ungeahnter Ängste und Phantasien frei...


Buchbeginn

"Was hast du mir gebracht, Hester? Was hast du mir aus dem Laden mitgebracht?"

"Ich hab' Katherine gebracht, Vater", antwortete Miss Harper. "Ich hab' Katherine gebracht, aber sie ist für mich."


Zitate

"Was Hester an Katherine so besonders schätzte, war die Art, wie sie mit beiden Händen nach dem Leben griff. Sie wollte das Leben genau so, wie sie es in Filmen sah, sie wollte das Abenteuer, und Hester wurde in diesen Sog mit hineingezogen. Diese Lebensgier nahm verschiedene Formen an, darunter auch die, alles haben zu wollen, was für Geld zu haben war. Überall in Magazinen, vor allem aber im Kino, erfuhr Katherine aus der Werbung, daß sie nur dies oder jenes brauchte, um vollkommen glücklich zu sein. Auch Hester ließ der gesunde Menschenverstand dann oft im Stich, und sie ließ sich einfach mitreißen."

Gabriele Tergit: Der erste Zug nach Berlin

Buchinfo

In ihrer rasant erzählten Satire "Der erste Zug nach Berlin" – erstmals nach dem Original-Typoskript veröffentlicht – nimmt uns Gabriele Tergit mit ins Berlin der Nachkriegszeit. Die junge Amerikanerin Maud hat noch nicht viel von der Welt außerhalb der New Yorker High Society gesehen. Da bekommt sie die Gelegenheit, eine britisch-amerikanische Militärmission nach Berlin zu begleiten, die den Deutschen endlich demokratische Prinzipien näherbringen soll – eine fabelhafte Chance, vor ihrer Hochzeit noch rasch etwas zu erleben. Die chaotische Gruppe versammelt skurrile Charaktere, unter anderem einen falschen Lord, die sich politisch nicht immer einig sind und darüber so manchen Streit austragen. Und die so glamouröse wie naive Maud muss bald feststellen, dass die Deutschen weder ein Interesse an Demokratie haben, noch daran, von ihr und den anderen Alliierten gerettet zu werden. Wie schon Tergits Erfolgsroman "Effingers" wurde "Der erste Zug nach Berlin" neu herausgegeben von Nicole Henneberg, die die Handlung außerdem in einem Nachwort historisch, biografisch und literarisch einordnet.

Buchbeginn

Ich muss sagen, es war ein reiner Zufall, dass ich nach Deutschland kam. Mein Onkel Phipps sollte zu der amerikanischen Mission nach Deutschland gehen und ich war gerade da, als Tante Ketta sagte: "Ich denke gar nicht daran, nach Berlin zu gehen. Ich habe mich mit der ganzen Bande für Miami verabredet und ich müsste mir lauter andre Sachen für ein kaltes Land anschaffen."
"Onkel Phipps", sagte ich, "nimm mich mit. Ich würde rasend gern mitkommen, ich könnte zum Beispiel Fonds für eine Kantine sammeln oder Kleider für Polen oder Bündel für ausgebombte Engländer."
"Das ist garnicht nötig", sagte Onkel Phipps, "komm nur mit. Du kannst chauffieren, eine Schreibmaschine zertrümmern und Photos machen. Dafür kann ich dich gerade brauchen."

Schöffling, 2023
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Nicole Henneberg

 

Freitag, 8. August 2025

Clarisse Nicoïdski: Das Nadelöhr

Leseprobe

An der Pforte de Pantin sah man durch die erleuchteten Fenster im Erdgeschoß immer dasselbe Bild: am Tischende der eingeschaltete Fernsehapparat, wie ein besonderer Gast. Die Gedecke waren aufgelegt. Hier und da war die Deckenlampe durch eine Neonleute ersetzt. Auf dem Büfett im Eßzimmer thronte ein Strauß Plastblumen. Irgendwo entströmte Suppenduft und verirrte sich bis auf die Straße, ein hartnäckiger Geruch nach Erbsen, Fett gerösteten Brotstücken, winterlicher Duft sorgsam gehütetet Wohnstätten. An den "Portes" riecht der Winter nach Suppe. Jedes Haus war eine vollendet organisierte Zelle, doppelt abgeschlossen, jedes Mitglied ein Gefangener seiner selbst, der künstlichen Blumen und des Neons. Nichts fehlte. Man hätte die Behausung notfalls hundert Meter in die Erde versenken können, ohne daß deshalb jemand in die geringste Verlegenheit geraten wäre.


Buchclub 65

 

Donnerstag, 7. August 2025

Margaret Drabble - die Bücher

A Summer Bird-Cage, 1963 (dt. „Der Sommervogel“, 1988)

The Millstone, 1965 (dt. „Der Mühlstein“, 1987)

Jerusalem the Golden, 1967 (dt. „Jerusalem. Goldene Stadt“, 1988)

The Realms of Gold, 1975 (dt. „Gold unterm Sand“, 1978)

The Ice Age, 1977

The Middle Ground, 1980 (dt. „Porträt einer Tüchtigen“, 1982)

The Radiant Way, 1987 (dt. „Die Elite nach dem Fest“, 1988)

A Natural Curiosity, 1989 (dt. „Die Begierde nach Wissen“, 1990)

The Gates of Ivory, 1991 (dt. „Die Tore aus Elfenbein“, 1993)

The Witch of Exmoor, 1996 (dt. „Die Hexe von Exmoor“, 1998)

The Seven Sisters, 2002

The Red Queen, 2004

The Sea Lady, 2006

Sammlung von Kurzgeschichten

A Day in the Life of a Smiling Woman, 2011


 

Anna Elisabet Weirauch - die Bücher

 Treulieb und Wunderhold (Weihnachtsmärchen in 8 Bildern) (Fontane um 1910)

Die kleine Dagmar. Roman 1919, vorab 1918 als Fortsetzungsroman im Berliner Tageblatt

Der Tag der Artemis. Novellen 1919

Der Skorpion. Ein Roman. Askanischer Verlag, Berlin 1919

Sogno. Das Buch der Träume. Ein Roman 1919

Anja. Die Geschichte einer unglücklichen Liebe. 1919

Gewissen. Roman 1920

Der Garten der Liebenden. Roman 1921

Der Skorpion. Ein Roman. Band 2. Askanischer Verlag, Berlin 1921

Die gläserne Welt. Roman 1921

Agonie der Leidenschaft 1922

Ruth Meyer. Eine fast alltägliche Geschichte. Roman 1922

Falk und Felsen. Theaterroman 1923

Edles Blut. Roman 1923

Nin van't Hell. Roman 1924

Höllenfahrt. Roman 1925

Tina und die Tänzerin. Roman 1927

Ungleiche Brüder. Roman 1928

Herr in den besten Jahren. Roman 1929

Die Farrels. Roman 1929

Lotte. Roman 1930

Denken Sie an Oliver. Roman 1931

Carmen an der Panke. Roman 1931

Der Skorpion. Ein Roman. Dritter Band 1931

Briefe an Bareiros Hand. Roman 1932

Schlange im Paradies. Roman 1932

Frau Kern. Roman 1934

Geheimnis um Petra. Roman 1934

Das seltsame Testament. Roman 1934

Mädchen ohne Furcht. Roman 1935

Haus in der Veenestraat. Roman 1935

Junger Mann mit Motorrad. Roman 1935

Mijnheer Corremans und seine Töchter. Roman 1936

Café Edelweiss. Roman 1936

Der große Geiger. Roman 1937

Iduna auf Urlaub. Roman 1937

Martina wird mündig. Roman 1937

Rätsel Manuela. Roman 1938

Donata und die Glückspilze. Roman 1940

Die entscheidende Stunde. Roman 1940

Die Geschichte mit Genia. Roman 1941

Die drei Schwestern Hahnemann. Roman 1941

Einmal kommt die Stunde. Roman 1942

Wiedersehen auf Java. Roman 1949

Schicksale in der Coco-Bar. Roman 1949

Das Schiff in der Flasche. Kinderbuch 1951

Karin und Kathi. Kinderbuch 1954

Die letzten Tage vor der Hochzeit. Roman 1955

Drei Monate, drei Wochen und drei Tage. Roman 1957

Claudias großer Fall. Roman 1957

Der Mann gehört mir. Roman 1958

Und es begann so zauberhaft. Roman 1959

Der Fall Vehsemeyer. Roman 1959

Mit 21 beginnt das Leben. Roman 1959

Der sonderbare Herr Sörrensen. Roman 1959

Tanz um Till. Roman 1960

Überfall bei Valentin. Roman 1960

Die geheimnisvolle Erbschaft. Roman 1961

Bella und Bellinda. Roman 1961

Tina Zinnober und das Wasserschloss. Roman 1961

Die Flimfanny. Roman 1962

Ein Leben am Rande. Roman 1965

Anstatt der angekündigten Vorstellung. Roman 1965

Anna Elisabet Weirauch: Die Farrels

Buchinfo

Bei den Farrles, dem berühmten Dirigenten und seiner Frau, einer großen Sängerin, geht es nach der Ansicht der braven Spießbürger zu, wie in einem Irrenhaus - nach eigener Ansicht führt die Familie ein herrliches und das einzig lebenswerte Leben: überall und nirgends zu Hause. Große Einnahmen und niemals genug Geld, ständige Streitigkeiten zwischen den sechs ungleichen Kindern und ein Zusammenhalten wie Pech und Schwefel, wenn ein Außenstehender sie angreift.

Wie diese musikerfüllte Boheme zusammenprallt mit einer Welt der wohlanständigen Korrektheit, als die Tochter Renée sich in einen verarmten Adligen verliebt - wie nach Kämpfen und Mißverständnissen das Glück der jungen Ehe wieder hergestellt wird - das erzählt der Roman in der spannendsten und amüsantesten Weise.

Leseprobe

Daß die Ehe zwischen Walter Farrel und Rose Rakenius nach vierundzwanzig Jahren noch nicht geschieden war, hatte seinen Grund in demselben merkwürdigen Gefühl des Familienstolzes, das die verschieden gearteten Kinder so zusammenhalten ließ.

Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, daß ein so rasches und heißes Herz, wie das Walter Farrels, vierundzwanzig Jahre lang hätte für ein und dieselbe Frau schlagen sollen. Von mannigfachen kleinen Abenteuern, von vorübergehenden, teils freiwilligen, teils beruflich bedingten Trennungen abgesehen, hatte einmal das Fortbestehen dieser Ehe auf des Messers Schneide balanciert.

 

Mittwoch, 6. August 2025

Margaret Drabble: Mühlstein

Buchinfo

Rosamunde macht sich nicht viel aus der Liebe. Die wohl einzige Jungfrau im London der Swinging Sixties hätte zwar mehr als genug Gelegenheiten für heiße Affären, sitzt aber lieber über den Büchern. Und ausgerechnet sie wird nach einem mäßigen One-Night-Stand schwanger. Im ersten Schreck versucht sie die Angelegenheit mit Gin und einem heißen Bad zu beenden. Doch alles geht schief, und der Abend endet in einem großen Besäufnis. Rosamunde schafft es nicht, sich gegen das Kind zu entscheiden. Na gut, dann zieht sie es eben allein auf. Auch wenn das Leben als ledige Mutter wohl nicht einfach werden wird. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätte sie für möglich gehalten, sich so rückhaltlos in ihre kleine Tochter zu verlieben. Als diese lebensbedrohlich erkrankt, lernt die eher hasenfüßige Rosamunde sich von einer komplett anderen Seite kennen.


Buchbeginn

Mein Lebensweg war schon immer von einer seltsamen Mischung aus Zuversicht und Feigheit gezeichnet - ja, man könnte fast sagen, davon bestimmt. Nehmen wir zum Beispiel meinen ersten Versuch, eine Nacht mit einem Mann im Hotel zu verbringen. Ich war damals neunzehn - das richtige Alter für solche Abenteuer - und selbstverständlich noch nicht verheiratet (was ich immer noch nicht bin, eine Tatsache von einiger Bedeutung - doch davon später). Wenn ich mich recht erinnere, hieß der Junge Hamish. Natürlich erinnere ich mich recht. Ich muss aufhören, so negativ zu sein; schließlich ist es die Zuversicht und nicht die Feigheit, die ich an mir bewundere.


Aus dem Englischen von Irmela Erckenbrecht
Mit einem Nachwort von Verena Roßbacher
Dörlemann Verlag, 2024

 

Margaret Drabble: Der Sommervogel

Buchinfo

Nach einem längeren Parisaufenthalt kommt die junge Sarah nach England zurück, um der Hochzeit ihrer schönen Schwester Louise beizuwohnen. Sarah kann sich noch gut erinnern, daß Louise auf ihre Umgebung immer attraktiver und anziehender wirkte als sie selber. Und nun wird sie den reichen und bekannten Schriftsteller Stephen heiraten.
Aber allmählich erkennt Sarah, was hinter der Fassade der strahlenden Louise liegt, und es gelingt ihr, sich von ihrer Schwester zu lösen.


Leseprobe

Ich wußte nur zu gut, was sie meinte. Ich war heilfroh, daß sie es geschafft hatte, mit mir darüber zu reden, trotz all der Barrieren, die ich aufgebaut hatte - oder die sich von selbst zwischen uns aufgebaut hatten.

"Es ist schrecklich", sagte ich. "Ich habe dich für unverwüstlich gehalten. Und wahrscheinblich hatte ich die größte Angst davor, was mit mir selbst passieren würde, wenn ich herausgefunden hätte, daß du es doch nicht bist. Ich habe gedacht: Wenn ihr das passiert, was soll dann erst mir passieren?"

Übersetzung: Irmela Erckenbrecht
Droemer Knaur, 1988

 

Isabel Bolton: Mary und Grace

Buchinfo

Connecticut, Ende des 19. Jahrhunderts: Nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern finden die Zwillinge Mary und Grace und ihre drei älteren Geschwister bei der Großmutter eine behütete Zuflucht. Doch die Idylle währt nur kurz: Nach dem Tod der Großmutter bleibt eine ungesittete Kinderschar zurück, die Onkel und Tanten zur Verzweiflung bringt, bis sie auf die rettende Idee kommen, eine Gouvernante zu engagieren. Miss Rogers, eine Figur wie aus einem Dickens-Roman, übernimmt nun den Vorsitz des chaotischen Familienlebens ... Die Wiederentdeckung einer großen amerikanischen Schriftstellerin.


Leseprobe

Immer wieder fragten wir Miss Rogers nach ihrer Mutter, denn natürlich wußten wir, sie hatte eine, und sie lebte in der High Street - unsere Tante hatte das gesagt. Jede Woche verschwand sie für einen Nachmittag, und es dauerte seine Zeit, bis wir wußten, wohin sie ging.
"Wie alt ist deine Mutter?" fragten wir sie. "Warum wohnst du nicht bei ihr statt bei uns?"
Ihre Antworten waren nie sehr zufriedenstellend, und sie genoß es, einen Schleier des Geheimnisses über das Thema zu werfen. Jede Woche verschwand sie, und das einzige, was sie dazu sagte, war, sie habe ein Recht auf ihren freien Nachmittag.


btb Verlag, 2006
Übersetzung: Hannah Harders

 

Isabel Bolton: Der Weihnachtsbaum

Buchinfo

New York 1945, drei Tage vor Weihnachten:

Hilly Danforth hat ihren Enkel Henry zu Besuch, dessen Mutter in San Remo eine zweite Ehe eingehen will. Am Heiligen Abend wird sie zurückerwartet.

Während Hilly für Henry den Weihnachtsbaum schmückt, erinnert sie sich an die Weihnachtsfeste ihrer Kindheit, an die großen Salons, die vielen Geschenke und den Zauber des Geheimnisvollen, der damals über ihrem Leben lag.

Sie denkt an Larry, ihren einzigen – homosexuellen – Sohn, und an Anne, ihre Schwiegertochter, die Larry vergötterte und sich trotzdem von ihm scheiden ließ, um anschließend einen forschen Air Force Captain zu heiraten.

Hilly fürchtet, daß auch Larry an diesem Weihnachtstag auftauchen könnte, doch als es endlich klingelt, steht Larrys Ex-Lover vor der Tür – und eine Katastrophe nimmt ihren Lauf, deren Ausmaße Hilly nicht einmal ahnen konnte.

Schöffling, 2006

 

Isabel Bolton: Wach ich oder schlaf ich

Buchinfo

Der 1946 erschienene Roman spielt in New York 1939. Im französischen Salon der Weltausstellung kreuzen sich für 24 Stunden drei Lebenswege. Die bezaubernde Bridget St. Dennis, der Bestsellerautor Percy Jones und die Drehbuchautorin Millicent speisen und diskutieren miteinander, bis Bridget in das allgemeine Geplauder hinein erzählt, dass sie ihr halbjüdisches Kind vor den Fängen der Nazis aus Wien retten will...


Leseprobe

Aber, o weh, sie waren nicht vorbereitet auf die Veränderung, die mit der armen alten Dame vor sich gegangen war. Meine allerliebste Großmama (dabei bekreuzigte sie sich hastig, beinahe flüchtig). Der Besuch war mehr als erschütternd gewesen. Ihre faszinierende, weltlich gesinnte, kapriziöse alte Großmutter war, sie konnte es anders nicht ausdrücken, aus dem einen Zimmer ihrer Seele ausgezogen, hatte die Tür verschlossen und wohnte jetzt in einem anderen. Sie war immer, auf ganz pedantische und routinierte Art, eine religiöse Frau gewesen; sie war in die Messe gegangen; sie hatte ihre Sünden gebeichtet. Aber die Frömmigkeit, die sie jetzt praktizierte, war etwas ganz anderes.

Aus dem Amerikanischen von Hannah Harders
List Taschenbuch, 2001

 

Isabel Bolton - die Bücher

 Menagerie (Gedichte) 1928.

Songs of Infancy, and other Poems (Gedichte) 1928.

Without Sanctuary 1932.

Intrepid Bird 1934.

In the Days of thy Youth (Roman) New York, 1943.

The Crucifixions (Gedichte) 1944.

Do I wake or sleep (Roman) New York: Charles Scribner’s Sons 1946.
Wach ich oder schlaf ich. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 1999, ISBN 978-3-89561-070-7.

The Christmas Tree (Roman), Scribner’s, 1949
Der Weihnachtsbaum. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hannah Harders. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2006

Many Mansions (Roman), Scribner’s, 1952.

Give a Guess (1957).

All Aboard (1958).

A Handful of Flowers (1959).

Jungle Journey (1959).

Listen — the Birds (1961).

Under Gemini (Roman), New York, 1966.

Mary und Grace: eine Erinnerung, Aus dem Amerikan. von Hannah Harders., Frankfurt/Main: Schöffling & Co., 2000

Whirligig of Time (Roman), New York, 1971.

Sonntag, 3. August 2025

Mary McCarthy - die Bücher

 The Company She Keeps (1942), deutsch Sie und die Anderen (1965)

The Oasis (1949), deutsch Die Oase (1965)

The Groves of Academe (1952)

A Charmed Life (1955), deutsch Der Zauberkreis (1967)

Venice Observed (1956). Deutsch von Ursula von Zedlitz: Venedig. Droemer Knaur, München 1968.

Memories of a Catholic Girlhood (1957). Deutsch Eine Katholische Kindheit. Übersetzt von Maria Dessauer. (1966)

The Stones of Florence (1959), deutsch Florenz (1960)

The Group (1962). Deutsch Die Clique (1964) (Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste in den Jahren 1964 und 1965, Neuausgabe Ebersbach & Simon, Berlin 2015, ISBN 978-3-86915-113-7)

Vietnam (1967), deutsch Vietnam-Report (1967)

Hanoi 1968 (1968), deutsch Hanoi (1968)

The Writing on the Wall (1970), deutsch Ein Blitz aus heiterem Himmel (1970)

Birds of America (1971), deutsch Ein Sohn der neuen Welt (1971)

The Mask of State: Watergate Portraits (1974)

Cannibals and Missionaries (1979), deutsch Kannibalen und Missionare (1981)

Ideas and the Novel (1980)

How I Grew (1987)

Intellectual Memoirs (1992). Deutsch Memoiren einer Intellektuellen (1997 veröffentlicht als Ergänzung in McCarthys Autobiografie Was sich verändert, ist nur die Phantasie : Erinnerungen)


Dass Wahrheit schweigen muss

Mary McCarthy: Dass Wahrheit schweigen muss

Die Geschichte beginnt im streng katholischen Irland, die Kirche hat die Menschen fest im Griff. Die junge Sheila, mitten im Chemiestudium, wird ungewollt schwanger. Eine Abtreibung kommt für sie nicht infrage. Sie möchte das Kind unbedingt behalten. Doch erst, als eine Dame von einer Adoptionsagentur ihr behutsame Fragen stellt, wird ihr so richtig bewusst, dass das nicht klappen wird. Schweren Herzens gibt sie ihre Tochter Karen zur Adoption frei.

Nur ihre beste Freundin Mary, ihr Bruder Seán und die Schwägerin Caroline und später der Vater wissen davon. Der Mutter muss das unbedingt geheim gehalten werden.

Nach der Entbindung geht sie zurück ins Elternhaus und fällt in eine Depression.

Als sie sich einigermaßen fängt, beschließt sie, ihr Leben in die Hand zu nehmen und sich später auf die Suche nach ihrer Tochter zu machen.

Nach dem Tod des Vaters, von dem sie vorab noch ein Startkapital bekommen hat, baut sich Sheila in den folgenden Jahren ein kleines Imperium auf, das wächst und gedeiht: Natural Woman. Es begann mit Kosmetik, die sie an die im Umkreis liegenden Apotheken verkaufte, wurde, nachdem es sie nach Dublin zog, mit einem Schönheitssalon erweitert und gipfelt bis zu einem Fitnesscenter mit Sauna. Sogar ein Schönheitssalon für Männer wurde eröffnet.

Ihre Schwägerin Caroline ist von Beginn an dabei, sodass deren Haussegen bald schiefhängt. Seán passt es überhaupt nicht, dass seine Frau arbeiten geht. Sie hat sich gefälligst um ihn und die Kinder und den Haushalt zu kümmern. Es wurmt ihn mächtig, dass Caroline sich vom eigenen Geld ein Auto leisten kann, und auch seine größere Arztpraxis kann er nur mit ihrer Mithilfe finanzieren. Er ist wie ein verzogener Junge, alle Welt muss sich um ihn drehen. Fürs Erste gibt er tatsächlich erst Ruhe, als sich seine Mutter und eine Haushälterin um ihn kümmern. - Was für ein Mann.

Nur bei Freundin Mary scheint alles gut zu laufen. Sie hat ihren Traummann gefunden, zwei Kinder, ein Traumhaus. Doch auch hier gibt es später noch Ärger im Paradies.

Sheila hat großen Erfolg mit ihrer Firma, aber privat läuft es gar nicht gut. Sie hat zwar seit einigen Jahren einen Freund - John -, doch der möchte mehr, als Sheila ihm geben kann. Er möchte eine Familie mit ihr gründen, was für sie gar nicht infrage kommt. Zu mehr, als dass er mit in ihre Wohnung zieht, ist sie nicht bereit. Und auch das läuft schief, da er immer mehr drängt. Sheila besteht auf einer zeitweiligen Trennung, um ein bisschen Abstand zu gewinnen, doch John stellt sie vor die Wahl: Entweder alles oder er verlässt sie.

Im Gegensatz zu anderen Geschichten im Irland dieser Zeit, ist diese nicht so düster geschrieben. Ja, die Frauen hatten es schwer, im Fall des Falles haben nur wenige Männer die Verantwortung für ihr Tun übernommen. Der Druck der Kirche und der Gesellschaft waren enorm. Und doch hat diese Geschichte einen positiveren Touch, ohne schmalzig oder zu romantisch zu sein. Obwohl ich mir denke, dass es auf ein Happy End hinausläuft - ich hoffe es zumindest.

In einem zweiten Erzählstrang erfahren wir, wie es Karen ergeht, die sich später ihrerseits auf die Suche nach ihrer biologischen Mutter machen will. 

Ob sich Sheila und Karen je finden? Das lest selbst.

Samstag, 2. August 2025

Ines Geipel: Die Welt ist eine Schachtel: Vier Autorinnen in der frühen DDR

Buchinfo

Nirgendwo im Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg so viel Aufbruch wie im Osten. Es lockte eine neue Gesellschaft, das 'Einfache, das schwer zu machen ist' (wie Brecht den Kommunismus umschrieb), ein neues Leben, das mit allen Fehlern des alten aufräumte. Gerade für Frauen schien die vielbesungene neue Zeit voller Verheißungen: nicht mehr konventionelle Rollen schienen gefragt, sondern Mut, Phantasie und Selbstbewußtsein.

Tatsächlich waren die unmittelbaren Nachkriegsjahre in der Ostzone wesentlich geprägt von der Aktivität der Frauen, nicht nur beim Wiederaufbau der Städte oder in der Wirtschaft, sondern auch und auffällig im kulturellen Bereich. Ob in der schreibenden Zunft (als Autorinnen oder Journalistinnen), in den Theatern, den Verlagen – überall wurde weibliche Kreativität sichtbar, die aufgrund anfänglicher Erfolge durchaus auch an Selbstbewußtsein gewann. Mit der zunehmend stalinistischen Ausrichtung (und Auskehrung!) der DDR waren Eigeninitiative, Eigensinn und kreative Autonomie nicht mehr gefragt. Es gab Normen, die weit in den Alltag hineinreichten; wurden sie verletzt, folgten Kontrolle, Disziplinierung, Ausgrenzung.

Ines Geipel dokumentiert das Leben von vier Frauen, Susanne Kerckhoff, Evelyn Kuffel, Jutta Petzold, Hannelore Becker, die als Autorinnen diesen deprimierenden Wechsel von euphorischem Aufbruch und folgendem bürokratisierten Stillstand drastisch erfahren haben – Frauen, die durch ihr Schreiben und wegen ihrer Lebensansprüche in Konflikt gerieten, diesen Konflikt auslebten und deshalb an den Rand gerieten: zwei von ihnen begingen Selbstmord, eine verbrannte in ihrem Bett, die vierte hielt sich für längere Zeit in einer Nervenklinik auf.

Die Spuren dieser Frauen – Texte, Fotos, Tagebuchnotizen, Briefe, Denunziationen und Observationsberichte – hat die Herausgeberin in mühevoller Recherche an den Tag gebracht. Das ist, den Frauen gegenüber, nicht nur ein Akt persönlicher und historischer Gerechtigkeit, es ist auch eine Erinnerung an eine Zeit, in der Kreativität zum unkalkulierbaren Risiko wurde – und vielleicht gerade deshalb Ergebnisse hervorbrachte, die wir heute nicht nur mit Respekt, sondern auch mit Staunen zur Kenntnis nehmen.


 

Ines Geipel: Heimspiel

Buchinfo

Dresden, Ende August 1989. Eine junge Frau steigt in den Zug und verlässt ihr Land. Was inmitten der großen Fluchtwelle so entschieden beginnt, wird für sie bald zur existentiellen Reise. Während der Fahrt tauchen Bilder einer einsamen Kindheit auf, in einer sprachlos gewordenen Familie: Der musische, aber haltlose Vater, der in seiner Agententätigkeit aufgeht und seine Obsessionen auslebt, die ohnmächtige Mutter, Tochter eines NS-Funktionärs, die sich in der Kälte einrichtet. Das alles hinter einer makellosen Lebensfassade: "eine Puppenstubenlandschaft, wie ein Leben lang auf Kur." In die Erinnerungen fließen auch Bilder eines anderen Lebens: ein Stück glückliche Kindheit im südlichen Ungarn, eine Liebe, die sie bis nach Budapest führt, Erkundungen im Baltikum, bei denen die junge Frau bedingungslose Freundschaft erfährt. Diese Begegnungen bestärken sie darin, ihre alte Welt zu verlassen. "Heimspiel" lotet Seelenlandschaften vor zeitgeschichtlichem Hintergrund aus. Ein Roman, der voller Poesie von Grenzüberschreitungen erzählt.


 

Ines Geipel: Das Heft

Buchinfo

Ein Mädchen in der fremden, starren Atmosphäre eines abgeschiedenen Internats, anders als die anderen Mädchen und deswegen 'die Russische' genannt. Sie beginnt nach ihrer Herkunft zu fragen, provoziert Erinnerungen, die ihr und anderen gefährlich werden.

Der erste Roman einer vielversprechenden Autorin.

 

Ines Geipel: Black Box DDR: Unerzählte Leben unterm SED-Regime

Buchinfo

November 2009. Das wiedervereinigte Deutschland feiert sich mit Festtagsreden, Jubel und Feuerwerk. Die erbitterten Debatten in den Feuilletons, die Streits unter Wissenschaftlern und Politikern, haben ausnahmsweise mal Pause: Zu einzigartig war dieser Herbst vor zwanzig Jahren. Warum aber wird seit 1989 so zäh gestritten? Vor allem worüber? Und was war sie denn nun, diese untergegangene DDR? Ein Unrechtsstaat, eine kommode Diktatur, ein nettes Versorgungsheim für 17 Millionen Menschen? Für viele aus dem Westen hat der hinzugekommene Landesteil nie aufgehört, eine Gesellschaft mit sieben Siegeln zu sein. Ferien in Ostdeutschland? Niemals. Stasi, IMs? Grauenhaft. Und die Ostdeutschen? Angesichts von Arbeitslosigkeit und Entvölkerung empfinden sie sich einmal mehr als Verlierer und sind heftig am Verklären. Einfach, gemeinsam und vor allem sicher, war das Leben in der DDR. Und verstehen könne sie nur, wer sie erlebt hat. Dafür brauche man schlichtweg keine Westler. Die DDR, ein gefallener Staat, der sich hüben wie drüben der Wirklichkeit mehr und mehr entzieht. Doch wie dem Leerlauf aus Abwehr und Ignoranz entkommen? Wie das historische Vakuum fassen? Black-Box DDR will konkretes Leben erzählen, mit seinen Hoffnungen, Aufbrüchen, Zufällen, Lieben und Krisen, mit kleinem Glück und brutalem Scheitern. Ein Erfahrungs-Container, durch vier Jahrzehnte, quer durch das „Kollektiv Ost“, durch alle Schichten, Berufe, Gruppierungen: vom geschassten Unternehmer der frühen DDR über die verschollene Tochter Walter Ulbrichts, von der Geschichte der Mauertoten, dem Attentäter Erich Honeckers bis zum Widerstand der Nonnen im Eichsfeld. Wie lebte man mit dem Projekt DDR? Was war möglich? Wo hörte der vermeintliche Spielraum auf? Was erzählt ein Ostberliner Kohlearbeiter, was ein Zeuge Jehovas, was eine Schülerin, die mit 15 Jahren von der Stasi zwangsverpflichtet wurde? Mit Beiträgen u. a. von Grit Poppe, Hans-Joachim Föller, Jochen Staadt, Benedict-Maria Mülder, Roman Grafe, Thomas Purschke.



 

Ines Geipel: Der Amok-Komplex: oder die Schule des Tötens

Buchinfo

Junge Amokschützen lernen voneinander: Die "Schule des Tötens" erstreckt sich vom australischen Port Arthur bis zum norwegischen Utoya. Die drei deutschen Tatorte Erfurt, Emsdetten und Winnenden stellt Ines Geipel in den Kontext der weltweiten Geschichte des Amok­laufs und sie zeigt, wie diese neue Form der Gewalt aus der Mitte un­serer befriedeten westlichen Gesellschaften herausbricht. Was treibt junge Amokläufer an? Warum sind Waffen noch immer so mühelos verfügbar? Wie schützt die Polizei, was klärt die Politik, wer ist für die Hinterbliebenen da? Unveröffentlichte Akten und Materialien, Gespräche mit Augenzeugen, Angehörigen und Experten geben tiefe Einblicke in den Amok-­Komplex.

 

Ines Geipel: Seelenriss: Depression und Leistungsdruck

Buchinfo

Wie ein Blitz trifft uns die Nachricht, wenn einer der Erfolgreichen und Berühmten das Leben plötzlich nicht mehr erträgt. Der Suizid als letzte Konsequenz quälender Depressionen beleuchtet für einen grellen Augenblick die Widersprüche zwischen glänzender Oberfläche und innerer Verzweiflung.

Die ihr gut bekannte Welt des Leistungssports ist für Ines Geipel jedoch nur Bild und Inbegriff unserer enorm beschleunigten Erfolgsgesellschaft. Denn der Zwang zu unbegrenzter Leistungssteigerung, Flexibiliät und Selbstvermarktung macht nicht nur Sportler krank und depressiv. Letzten Endes - so bezeugen es ihre Gespräche mit führenden Psychologen und Seelenexperten - sind wir alle dem Wirbelsturm eines neuen Welttempos ausgesetzt und so in Gefahr, mit olympischer Rasanz unser inneres Gleichgewicht zu verlieren.

 

Ines Geipel: Für heute reicht’s

Buchinfo

Als Elsa am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt ihr Abitur geschafft hatte, ging sie noch am selben Tag nach Berlin: endlich weg von zu Hause, Schluss mit all dem Druck in der Schule.

Am 26. April 2002 riss der unscheinbare Robert Steinhäuser, einer von Elsas ehemaligen Mitschülern, sie in die Vergangenheit zurück – als er morgens die elterliche Wohnung verließ, mit Pistole und Pumpgun bewaffnet die Schule betrat und die größte Mordserie beging, die Deutschland nach 1945 erlebt hat.

Der Erfurter Amoklauf machte bei den siebzehn Toten nicht Halt, sondern löste eine Fülle von widersprüchlichen Reaktionen aus. Nach der Katastrophe ist Elsa so fassungslos wie alle anderen: Wie konnte das passieren?

Elsas nachdrückliche Fragen im Gepäck, begibt sich die Autorin Ines Geipel auf eine Spurensuche, die das Geschehen in neue Zusammenhänge stellt. So entsteht ein Bild, in dem sich viele Elemente auf unheilvolle Weise ergänzen: Kleinbürgermoral und desorientierte Familien, Vertuschungspolitik und unbewältigte Vergangenheit, Sprachlosigkeit und wachsende Brutalität. Für die Zukunft verheißt das nichts Gutes – die Glaubwürdigkeit der Politiker ist nachhaltig beschädigt, die Behebung von Missständen an den Schulen wieder in weite Ferne gerückt.

Dieses Buch ist ein Plädoyer für rückhaltlose Aufklärung.


Buchbeginn

Unsere Schule, Elsa

Berlin, 26. April 2002, kurz nach elf Uhr.

"Ist kein Witz. In unserer Schule wird geschossen! Zwölf Leute tot. Christian." Elsa zieht den bunten Wollstrumpf über das Handy, lässt das Gerät zurück in die Tasche gleiten. Einfach zu blöd, seine Scherze, immer das Gleiche. 

Ines Geipel: Schöner Neuer Himmel

Buchinfo

Die Idee war so ambitioniert wie anmaßend: den Kommunismus auch im All real werden zu lassen. Und die Realität? Um einen "Körper mit optimaler Normierung" zu kreieren, wurde ab den 70er Jahren im Osten in hochgeheimen Laboren geforscht. Was surreal klingt, findet sich belegt in den Akten des ostdeutschen Militärs, aber auch bei denen, deren Körper zum Material dieses Staatstraumas gemacht wurden. Eine dichte Erzählung, die ein scharfes Licht auf ein bislang ausgeblendetes Erbe der DDR wirft - und eine Zeitdiagnose über entgrenzte Körperforschung.

Der Neue Mensch im All galt im Weltraumprogramm der Sowjetunion als absoluter Leitstern und löste in der DDR zwischen 1972 und 1989 eine gründliche Forschungstätigkeit aus. Die Unterwerfung und Beherrschung des Kosmos sollte durch Hochleistungsflieger, die sich über Jahre im All aufhalten konnten, möglich werden. Wie erschafft man diesen maximal normierten und bedürfnislosen Körper? Aus den Verschlussakten der DDR-Militärforschung, heute zugänglich im Militärarchiv Freiburg, setzt Ines Geipel ein verstörendes Bild zusammen: Experimentiert wurde nicht nur an Tieren, sondern auch an Menschen, in Krankenhäusern, Gefängnissen, an Soldaten und im Hochleistungssport. Das Streben nach der Vorherrschaft im Kosmos ist nicht Vergangenheit, sondern erfährt heute eine Renaissance.


Buchbeginn

Doppeltext. 26. April 2018. Der Tag begann wie oft die Tage, die einem später nicht mehr aus dem Kopf gehen: normal, schön, sonnig. Und das in Berlin. Ein normaler Himmel, der normale Kaffee. Ich musste in die Stadt. Für 11 Uhr war eine Pressekonferenz angesetzt. Auf dem Podium drei Frauen. Sie würden ihre Geschichten erzählen. Ich hatte zu moderieren und war entsprechend vorbereitet.

Ines Geipel: Tochter des Diktators

Buchinfo

Ivano Matteoli, Sohn eines KP-Funktionärs, verlässt Anfang der sechziger Jahre sein toskanisches Heimatdorf gen Leningrad. Dort lernt er Bea kennen – Beate Ulbricht, das "erste Staatskind der DDR" und Tochter von Walter Ulbricht. Dies ist der Beginn einer Amour fou zwischen Ost und West, einer Liebe im politischen Geflecht zwischen Paris, Leningrad, Rom, Ost-Berlin und dem erzkatholischen Cigoli.


Die Erzählerin Anni kennt Ivano von Kindesbeinen an. Auf den Dächern der alten Häuser ihres toskanischen Heimatdorfes haben sie beide zusammen gesessen und den Männern beim Bocciaspielen zugesehen. Auch, als es sie wegen des Studiums in unterschiedliche Himmelsrichtungen verschlägt – sie nach Paris, ihn nach Leningrad –, verfolgt Anni aus der Distanz Ivanos Liebe zu der Deutschen Beate. Deren Eltern, Walter und Lotte Ulbricht, versuchen die Ehe der beiden zu verhindern. Das gelingt nicht, aber der Preis dafür ist hoch. Ines Geipel ist in ihrem ganz eigenen Ton ein raffinierter und kontrastreicher Roman darüber gelungen, wie das Autoritäre ins intimste Innere des Lebens eindringt.


 

Ines Geipel: Umkämpfte Zone: Mein Bruder, der Osten und der Hass

Buchinfo

Woher kommt die große Wut im Osten?

Fremdenfeindlichkeit und Hass auf "den Staat": Verlieren wir den Osten Deutschlands? Das Buch sucht Antworten auf das Warum der Radikalisierung, ohne die aktuell bestimmende Opfererzählung nach 1989 zu bedienen. Es erzählt von den Schweigegeboten nach dem Ende der NS-Zeit, der Geschichtsklitterung der DDR und den politischen Umschreibungen nach der deutschen Einheit. Verdrängung und Verleugnung prägen die Gesellschaft bis ins Private hinein, wie die Autorin mit der eigenen Familiengeschichte eindrucksvoll erzählt.

Seit 2015 haben sich die politischen Koordinaten unseres Landes stark verändert – insbesondere im Osten Deutschlands. Was hat die breite Zustimmung zu Pegida, AfD und rechtsextremem Gedankengut möglich gemacht? Ines Geipel folgt den politischen Mythenbildungen des neu gegründeten DDR-Staates, seinen Schweigegeboten, Lügen und seinem Angstsystem, das alles ideologisch Unpassende harsch attackierte. Seriöse Vergangenheitsbewältigung konnte unter diesen Umständen nicht stattfinden. Vielmehr wurde eine gezielte Vergessenspolitik wirksam, die sich auch in den Familien spiegelte – paradigmatisch sichtbar in der Familiengeschichte der Autorin. Gemeinsam mit ihrem Bruder, den sie in seinen letzten Lebenswochen begleitete, steigt Ines Geipel in die "Krypta der Familie" hinab.

Verdrängtes und Verleugnetes in der Familie korrespondiert mit dem kollektiven Gedächtnisverlust. Die Spuren führen zu unserer nationalen Krise in Deutschland.


Buchbeginn

Es liegt Schnee, endlos viel, und ständig kommt neuer dazu. Ich stehe am Fenster und schaue in den Himmel. Wie die Flocken in die Dämmerung stürzen. Wie eine von ihnen taumelt, sich verheddert, mit einer anderen verschmilzt. Wie sie zusammen ein eigenes Muster bilden. Mein kleiner Bruder reißt die Tür auf: Noch eine halbe Stunde, dann hört es auf zu schneien, dann ist es kalt genug, dann geht es los. 

Ines Geipel: Fabelland

Buchinfo

Eine unverzichtbare Stimme zur Lage der Demokratie in Ost und West

Der 9. November 1989. In Berlin fällt die Mauer. Es ist einer der glücklichsten Momente der deutschen Geschichte. Ines Geipel ist bereits im Sommer in den Westen geflüchtet und erlebt den Zeitriss, die Hoffnungen und Aufbrüche als Studentin in Darmstadt. 35 Jahre danach erinnert sie sich: Wie fühlte er sich an, dieser historische Moment des Glücks? Wie erzählen wir uns Ost und West und die Wiedervereinigung? Woher kommt all der Zorn, woher die Verleugnung, wenn es um den aktuellen Zustand des Landes geht? Mit großer Klarheit und Offenheit geht Ines Geipel in ihrem Buch "Fabelland" noch einmal zurück. Zurück in die politische Umbruchslandschaft nach 1989, in die eigene Familie, zurück in all die verstellten, besetzten Räume der Erinnerung, zurück zu den Verharmlosungen und Legenden, die die Gegenwart so vergiften. Ein fesselndes, nein, ein befreiendes Buch, das auf die Frage zuläuft: Können die Deutschen ihr Glück auch verspielen?


Buchbeginn

Sofort, unverzüglich. Am Anfang war das Glück. Ruhig, selbstverständlich, auf seltsame Art bei sich. Etwas, von dem ich den Eindruck hatte, es war selbst ganz froh, endlich da zu sein. Das kleine Wort ,endlich'. Still, andächtig, das nicht recht zu den späteren Euphorie-Bildern des Tages passen wollte. Es war wirklich der Anfang, denke ich.